Bonusrunde: Kazunori Yamauchi und Shuhei Yoshida blicken auf die Anfänge von Gran Turismo zurück

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Bonusrunde: Kazunori Yamauchi und Shuhei Yoshida blicken auf die Anfänge von Gran Turismo zurück

Während GT Sport schon in den Startlöchern steht, könnt ihr herausfinden, wie die Kult-Rennspielreihe entstanden ist

Kazunori Yamauchi sollte Gran Turismo eigentlich gar nicht entwickeln. Als er mit der Arbeit am bahnbrechenden Rennspiel für PlayStation begann, ahnte er noch nicht, dass er den ersten Spatenstich für eine Reihe setzen würde, die bis hin zum neuesten Spiel Gran Turismo Sport auf gleicher Stufe mit PlayStation stehen würde.

Im Jahr 1993, also über ein Jahr vor der Markteinführung des PlayStation-Systems in Japan, war Yamauchi Produzent in dem kleinen Videospiel-Entwicklerteam von Sony Music Entertainment. Eines Tages traf er einen jungen Business-Planer namens Shuhei Yoshida, der gerade dem PlayStation-Entwicklerteam unter der Leitung von Ken Kutaragi beigetreten war.

„Ich weiß noch, dass ich von seinem Wissen, seiner Leidenschaft und seinem Drang zu lernen, Spiele mit Echtzeit-3D-Grafik zu entwickeln, sehr beeindruckt war”, sagt Yoshida, der heute Sony Interactive Entertainment Worldwide Studios vorsteht.

Yoshidas Aufgabe war es, eine Softwarepalette für SIEs erste Konsole zu entwerfen, und Yamauchi war ihm dabei eine große Hilfe. „Er hatte viele Ideen und trug zur Gestaltung des PlayStation-Systems und des ersten PlayStation-Controllers bei”, sagt Yoshida. „Ich erinnere mich daran, dass er sogar angeboten hat, den PlayStation-Controller-Prototyp von Schülern an der Schule seines Vaters testen zu lassen.”

Warum Yamauchi ein Spiel für PlayStation machen wollte

Yamauchi war sehr an den Möglichkeiten der Hardware der PlayStation-Konsole interessiert. Nachdem er mit der Entwicklung von 2D-Spielen während der 16-Bit-Ära erste Erfahrungen gesammelt hat, sah er die Gelegenheit, an etwas zu arbeiten, an dem er schon seit Jahren interessiert war.

„Mein Interesse an Echtzeit-3D-Entwicklung kam zum ersten Mal um das Jahr 1983 auf, in meinem dritten Jahr an der Mittelschule”, sagt er. „Zu dieser Zeit waren Personal Computer noch brandneu und mein Hobby war es, Spiele auf ihnen zu entwickeln. Es war im Grunde nur Drahtgittergrafik, aber da wurde zum ersten Mal mein Interesse an 3D-Grafik geweckt.”

Was er wirklich machen wollte, war eine realistische Fahrsimulation. „Aber damals war das ein ziemlich radikales Konzept und es war schwierig, die Unternehmensleitung davon zu überzeugen”, erzählt er. Deswegen schlug er um die 100 verschiedene Spielideen für alle möglichen Genres vor.

Warum Yamauchi Motor Toon Grand Prix entwickelte

Er sollte recht behalten. Die Unternehmensleitung war von der Fahrsimulation nicht überzeugt, aber Yamauchi hatte einen Plan. „Ich habe ein Projekt im Rennspielgenre begonnen, das für die Führungsebene leichter zu verstehen war”, sagt er. „Wir sicherten uns die finanziellen Mittel für Motor Toon Grand Prix und arbeiteten an diesem Projekt, während wir im Hintergrund bereits begannen, Gran Turismo zu entwickeln.”

Das soll aber nicht heißen, dass Motor Toon Grand Prix ein halb gares Produkt war. Das Spiel erschien Mitte Dezember 1994, zwei Wochen nach der Japan-Veröffentlichung der PlayStation-Konsole, und war ein farbenfrohes Kartrennen-Spiel im Cartoon-Stil, das von ausgeklügelter Physik und 3D-Grafik Gebrauch machte. Es dauerte nicht lange, bis das Spiel eine treue Fangemeinde um sich geschart hatte, die erwartungsgemäß nach einer Fortsetzung verlangte.

„Die Unternehmensleitung traute mir mittlerweile die Entwicklung eigener Spiele zu, also stellte ich ihnen das ‚Gran Turismo’-Projekt vor und die Entwicklung konnte offiziell beginnen.”

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Die Entstehung des “Gran Turismo”-Teams

„Ich weiß noch, wie er an Codeentwickler herangetreten ist, die an 3D-Grafiken und Autophysik-Engines arbeiteten und regelmäßig Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlichten, um sie davon zu überzeugen, sich seinem Team anzuschließen und an seinem Traumprojekt zu arbeiten”, erinnert sich Yoshida, der dem „Gran Turismo”-Team als Studio-Manager und Koproduzent beitrat. „Er hatte Charme und Charisma und ließ die Leute daran glauben, dass er und das Team die damals unmöglich erscheinende Aufgabe bewältigen konnten.”

Gran Turismo erschien in Japan erst im Dezember 1997. Insgesamt brauchten Yamauchi und sein Team fünf Jahre für die Fertigstellung – eine Entwicklungsdauer, die zu der Zeit nur äußert selten vorkam.

Zu Beginn bestand das Team nur aus fünf Mann, Yamauchi eingeschlossen, und selbst zum Ende der Entwicklung arbeiteten nicht mehr als 20 Leute an dem Projekt. „Dadurch hatte jedes Teammitglied einen sehr großen Verantwortungsbereich und der Arbeitsaufwand war auch immens. Die Entwicklung hat daher sehr lange gedauert”, sagt er.

„Als ich morgens ins Büro kam, fand ich ihn und sein Team immer schlafend unter den Schreibtischen”, erinnert sich Yoshida.

„Die Atmosphäre hatte etwas von einem College-Club-Raum”, sagt Yamauchi. „Ich wachte morgens auf und sah dann beispielsweise ein Bein vor meinem Gesicht.”

Warum sich Gran Turismo so realistisch anfühlte

Gran Turismos Autophysik war außergewöhnlich. Die Art, wie die Reifen über die Straßenwölbung und über die Bordsteine fuhren, zeugte von einem Grad an Simulation, den noch kein Spiel zuvor erreicht hatte, schon gar nicht auf Heimkonsolen. Und jedes der 140 Autos fuhr sich anders und passte sich den Veränderungen durch den Spieler an, wenn er zum Beispiel neue Spoiler hinzufügte oder an der Aufhängung schraubte.

„Das System berechnete die Simulation mithilfe detaillierter Parameter”, sagt Yamauchi. „Für bestimmte Autos im Spiel standen uns sehr detaillierte Informationen zur Verfügung, wie die Designdaten und Maße, sodass wir sie bis ins Detail nachbauen konnten. Leider war das aber nicht immer der Fall. Einige Hersteller wollten diese Art von Informationen nicht preisgeben, also mussten wir möglichst genau schätzen. Aber in der Regel lagen wir immer recht nahe dran, zumindest nahe genug, um die entsprechende Persönlichkeit jedes Autos wiederzugeben.”

Doch Gran Turismo war nicht nur eine äußerst detaillierte Simulation; es war auch für Einsteiger geeignet. Yoshida war nicht maßgeblich an der kreativen Gestaltung des Spiels beteiligt, konnte aber mit seiner Perspektive als jemand, der kein Autonarr war, dabei helfen, die Physikengine für andere „Nicht-Experten” anzupassen.

„Bei einem Test während der Spieloptimierung sah Kazunori an die 20 Spieler gegen eine Mauer fahren, weil sie vor einer engen Kurve nicht früh genug bremsen konnten”, berichtet er. „Also dachte sich Kazunori: ‚Okay, alles klar, wir machen das Handling für den Durchschnittsspieler leichter!'”

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Wie real ist der “Real Racing Simulator”?

Yamauchi denkt: „Ich finde, ein echtes Auto zu fahren ist nicht besonders schwer; oft ist es leichter als im Simulator. Fahrer sind intuitiv dazu in der Lage, gegenzusteuern, wenn ihr Auto ins Rutschen kommt. Deshalb bin ich schon immer davon überzeugt gewesen, dass das Fahren im Spiel nicht zu schwer ist, wenn ich die Fahrphysik korrekt umsetze.”

Während der Entwicklung lernte Yamauchi, Rennwagen zu fahren. Doch erst als er das Rennfahren wirklich beherrschte, wurde ihm klar, dass Gran Turismo das Gefühl echter Rennen wirklich eingefangen hatte. Inzwischen ist er geübter Rennfahrer und hat an vielen Veranstaltungen teilgenommen, unter anderem regelmäßig beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring.

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Der Weg zur realistischen Darstellung

Yamauchi legt sehr viel Wert auf die Balance zwischen Realismus und Zugänglichkeit in Gran Turismo, ist aber auch auf die subtileren Aspekte stolz. „Die Beleuchtung ist ebenfalls extrem wichtig”, teilt er mit. „Wenn mich jemand in einem Restaurant fragt, was ich beruflich mache, antworte ich manchmal, dass ich mit Licht zu tun habe. Dieser Sache widme ich sehr viel Aufmerksamkeit.”

Wie im ersten Gran Turismo die Atmosphäre verschiedener Orte und Tageszeiten eingefangen wurde, war beeindruckend, aber auch die lebensechten Fahrzeuge blieben im Gedächtnis. Letzteres übte eine große Faszination auf Yoshida aus. „Ich weiß noch, wie ich einmal ins Büro kam, als Kazunori und andere Teammitglieder gerade alle in einer Ecke waren, und er dann rief: ‚Yoshida-San, schau dir das mal an!’ Auf dem Bildschirm eines Programmierers drehte sich ein Auto im Menü, und das Licht fiel realistisch auf die Oberfläche des Wagens, während er sich drehte. Ich hatte noch nie etwas Derartiges in Echtzeit in Bewegung gesehen und wir waren alle beeindruckt vom Potenzial, das sich uns zeigte.”

Dies war in einem faszinierenden Wiederholungsmodus zu sehen, der im Anschluss an gefahrene Rennen begann und in dem dramatische Kamerawinkel das glänzende Fahrzeug in Szene setzten.

Ein RPG im Rennspiel

Gran Turismo lebte nicht nur von seiner Technik. Auch ein komplett anderes Genre prägte die Rennen: Spielmechaniken aus Rollenspielen fanden Einzug.

Im „Gran Turismo”-Modus nutzt man Siegprämien, um schnellere Fahrzeuge zu kaufen oder die bereits vorhandenen mit neuen Bauteilen aufzuwerten – von Aufhängung und Reifen bis hin zu Kompressoren und Spoilern. Das Spiel gewann dadurch an Reiz: Mit genug Geld wurde der Wagen erschwinglich, mit dem der nächste Wettbewerb gewonnen werden konnte, oder ein Bauteil, mit dem man in seinem Lieblingsauto noch ein paar Hundertstelsekunden schneller auf der Strecke fuhr.

Woher stammte die Inspiration für diese Elemente? Yamauchi sagt dazu: „In den 80ern war ich ein begeisterter PC-Spieler. Zu der Zeit gab es eine Menge richtig guter Rollenspiele in den USA und auch in Europa, beispielsweise Wizardry und Ultima. Ich bin mit PC-Spielen aufgewachsen und wusste dadurch nicht viel über Konsolen- und Arcadespiele.”

Der Start von Gran Turismo

Seit seiner Enthüllung wurde Gran Turismo sehnsüchtig erwartet. Yoshida erinnert sich: „Als 1997 zur E3 Spielszenen von Gran Turismo ihren Weg in einen Trailer für kommende PlayStation-Titel gefunden hatten, wollten alle wissen, was das für ein unfassbar realistisch aussehendes Rennspiel ist.”

Auf Yamauchi und sein Team wirkte die Veröffentlichung dagegen fast schon skurril. Am Tag des Erscheinens, dem 23. Dezember 1997, ging er zu den großen Videospielhändlern Yodobashi Camera und BIC Camera, wo die vorfreudigen Käufer Schlange standen. „Ich habe ungläubig beobachtet, wie die Leute unser Spiel kaufen. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt drang zu mir noch nicht ganz durch, was wir geschafft hatten. Wir haben uns gefreut, konnten es aber nicht wirklich glauben. Die Entwicklung des ersten Gran Turismo dauerte sehr lange und fühlte sich deswegen so an, als würde das Spiel uns, dem Team gehören. Wir hielten daran fest und ließen nicht los, wir zogen es bis zum letzten Augenblick auf. Und dann plötzlich gehörte unser Gran Turismo nicht mehr uns.”

Yoshida unterstützte Yamauchi im Zuge des Erfolgs von Gran Turismo beim Aufbau eines eigenen Studios (Polyphony Digital) und kurz darauf begann die Entwicklung eines Nachfolgers mit mehr Fahrzeugen und Strecken, der fast genau zwei Jahre später auf den Markt kam. Die Serie war nun voll durchgestartet und setzte in den darauffolgenden Jahren immer und immer wieder neue Maßstäbe im Rennspielbereich.

Seit dem Beginn vor 20 Jahren hat sich Gran Turismo immer weiterentwickelt. Aber auch im neuesten Titel, Gran Turismo Sport, wurden die wichtigsten Eigenschaften bewahrt: die Mischung aus Realismus und Spielspaß, das lebensechte Aussehen und die Liebe zu Autos und zum Rennsport, die so mitreißend ist, dass sie eine neue Generation von Rennfahrern inspiriert hat.

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