Bonusrunde: Wie LittleBigPlanet aus jedem Spieler einen Spieleentwickler machte

0 0
Bonusrunde: Wie LittleBigPlanet aus jedem Spieler einen Spieleentwickler machte

Die ganze Geschichte, die hinter Media Molecules bahnbrechendem Debüt steckt

Willkommen beim ersten Eintrag einer neuen Reihe, die in unregelmäßigen Abständen, hier auf dem PlayStation.Blog erscheinen wird und rückblickend einige Schlüsselmomente der PlayStation-Geschichte im Detail beleuchtet.

Wir nennen sie Bonusrunde und ihr könnt euch auf Augenzeugenberichte, Experteineinblicke und ungesehene Kunst und Videos einstellen. Um die Sache ins Rollen zu bringen, starten wir mit der Geschichte um eine ware PlayStation-Ikone — Sackboy. Viel Vergnügen!


Es begann mit einem Kündigungsschreiben. Aber Mark Healey wusste gar nicht, dass er seinen Job geschmissen hatte, weil er zu dieser Zeit im Urlaub war. Also war er ziemlich überrascht, als er zurückkam und man ihn bei Lionhead Studios bat, seinen Schreibtisch zu räumen, wo er an Spieleklassikern wie Black & White und Fable beteiligt war.

Und wer hat das Kündigungsschreiben für ihn verfasst? Das war Alex Evans. Mit Kareem Ettouney und Dave Smith, die auch bei Lionhead arbeiteten, und Siobhan Reddy, die beim Burnout-Macher Criterion angestellt war, gründeten diese fünf Freunde zusammen mit Chris Lee, Francis Pang, Anton Kirczenow, Rex Crowle und Mags Hardwick das neue Studio Media Molecule.

“Wir arbeiteten in einem Raum über einem Badezimmer-Shop.”

Zusammen erschufen sie LittleBigPlanet, ein Spiel über Erfindungsreichtum und Fantasie, und waren Pioniere in einem Bereich, der zum festen Bestandteil der heutigen Videospiele wurde, von Fallout 4s Siedlungsbau bis hin zu Trials Fusions Level-Design-Werkzeugen.

LittleBigPlanet

Eigentlich begann LittleBigPlanet schon ein wenig früher mit Rag Doll Kung Fu. Healey entwickelte dieses Physik-basierte Slapstick-Kampfspiel nachts und arbeitete tagsüber bei Lionhead, wo er Alex und Dave rekrutierte, damit sie ihn bei technischen Dingen, wie das Entwickeln eines realistischen Seils, halfen und Kareem als Künstler und Star des einleitenden Films.

LittleBigPlanet
Rag Doll Kung Fu wird mit der Maus gesteuert und bringt viele verrückte Minispiele mit sich.

Betrachtet man Rag Doll Kung Fu heute, sieht man eine direkte Verbindung zum Charakter-Editor von LittleBigPlanet – verträumter, seitlicher Grafikstil, physikalisches Gespür und Stimmen von Cartoon-Charakteren, aber vor allem begründete es ein Team. „Wir haben immer zusammen Musik gemacht”, sagt Kareem. „Die kreative Chemie zwischen uns hat gestimmt. Mark hat etwas von einem Alleskönner, wenn es um die Spielentwicklung geht, das war er schon zu Commodore-Zeiten. Alex und Dave sind auf sehr unterschiedlichen technischen Gebieten Legenden, aber ergänzen sich in ihrer Arbeit. Siobhan kann Verschiedenes in eine Geschichte verwandeln, das Ganze lebendig machen.”

„Ich dachte nur, warum nicht”, sagt Mark. „Zu dieser Zeit hatte ich keine anderen Verpflichtungen, von Rag Doll Kung Fu ein wenig Geld auf der Bank, also warum nicht versuchen?”

Trefft „Yellowhead”

Es war Dave, der als Erster ausarbeitete, was das Spiel definieren sollte, und sich einen Weg überlegte, wie ein physikbasierter Charakter nur mit den Sticks gesteuert werden soll. In Heimarbeit entwickelte er einen Prototyp, der ein kleiner kastenförmiger Charakter war, den das Team Yellowhead nannte. Er konnte durch die Gegend springen, nach Objekten greifen und sie bewegen.

LittleBigPlanet

Aber obwohl Yellowheads Fähigkeiten denen von Sackboy ziemlich ähnlich zu sein scheinen, war das Spiel an sich ganz anders. Das Team hatte durchaus Ideen für das Spiel, die auf Spielerkreativität basierten, aber damals war das großflächige Teilen von benutzergenerierten Inhalt noch nicht das, was es heute ist. Am PC war Modding beliebt, und in Konsolenspielen wie TimeSplitters gab es manchmal Level-Editoren. Aber für die meisten Spieler waren diese Dinge nahezu unsichtbar. Das war 2005. YouTube, Facebook und Flickr waren brandneu, und MySpace regierte das Internet.

„Am Anfang wollten wir einen Plattformer mit Charme und verspielter Kreativität erschaffen, der allerdings selbsterklärend sein sollte. Wenn man eine Taste drückte, sollte ein magischer Pinsel erscheinen, der automatisch das Richtige tat”, erzählt Kareem. „Das waren die Anfänge, mit denen wir Kreativität in ein konventionelles Spiel einfließen lassen wollten. Clever, aber nicht clever genug.”

Aber das Team war bereit, es Sony vorzustellen, und ergatterte ein Meeting mit Phil Harrison, der damals der Chef von Sony Computer Entertainments Worldwide Studios war und nach Spielen für das PlayStation 3-System suchte, das bald veröffentlicht werden sollte. Sie haben Daves Prototyp aufpoliert und anstatt einer formellen Präsentation einfach ihn genutzt, um ihre Vision auf eher unkonventionelle Weise vorzustellen. „Wir dachten, dass er sich bestimmt unheimlich viele PowerPoint-Präsentationen ansehen muss, und diese meistens auch noch ziemlich langweilig sind. Wenn wir ein Spiel verkaufen wollen, wäre es also besser, ihm einfach den Controller in die Hand zu drücken und ihn spielen zu lassen.”

Harrison hat sich sofort auf die kreative Seite ihrer Vision eingeschossen.

“Die Idee war, dass Sackboy einen Zip gehabt hätte, der, wenn geöffnet, einen Mond in ihm gezeigt hätte, wo all sein Zeug gewesen wäre.”

„Das war wirklich etwas, was wir schon die ganze Zeit über tun wollten, aber wir haben uns im Meeting etwas zurückgehalten, da das als Videospiel-Publisher sonst vermutlich etwas seltsam und abschreckend gewirkt hätte. Es war also Musik in unseren Ohren”, sage Mark. Und das Team gewann Fördergelder für 6 Monate, um das Spiel zu entwickeln.

Das Bearbeiten der Welt

Aber es hat eine Weile gedauert, bis sie die Idee des magischen Pinsels aufgegeben haben. Das Team entwickelte ein Tool, um Levels zu bearbeiten, und erschuf Sackboy. Und während ihrer Arbeit fügten sie noch mehr kreative Ideen zum Editor hinzu. Eine davon war, den Editor in die Spielwelt und nicht bloß als separaten Modus oder externes Tool zu integrieren.

„Das war eine unserer ersten bahnbrechenden Ideen”, erklärt Kareem. „Wenn man zum Beispiel Maya oder 3D Studio Max nimmt, sieht der Arbeitsprozess aus wie etwas von der NASA, während das fertige Produkt so aussieht wie Findet Nemo. Sie sind sehr unterschiedlich, aber stellt euch mal vor, ihr würdet im Ozean von Findet Nemo arbeiten. Das ist ein ganz anderes Gefühl.”

LittleBigPlanet

Ab diesem Punkt häuften sich die Ideen nur so an. Sie genossen die Immersion, die physische Materialien und herunterfallende und bewegbare Objekte erzeugten. Dave ließ sich einen Prozess der 3D-Modellierung einfallen, bei dem durch das Stempeln von Formen in andere Formen komplexere Formen entstehen. Anstatt die Modelle anhand abstrakter Punkte zusammenzubasteln, konnten sie einfach mit Formen arbeiten.

„Von einem Punkt zu einem Roboter ist es ein großer Sprung, aber einen Roboter aus einem Zylinder und einem Würfel zu machen ist einfacher”, meint Kareem. Und so wurde der Editor zum Spiel.

LittleBigPlanet

„Nach vielem Hin und Her ist das Spiel zum Schluss eine nette Mischung aus Plattformer und Spielerstellungs-Kit geworden, denke ich”, meint Mark und spielt damit auf die kreative Atmosphäre an, die sich bei Media Molecule entwickelt hat.

„All die verschiedenen Weltansichten und Stile, Stilempfinden und Unterhaltungen – das ist wirklich intensiv”, sagt Kareem. „Es war, als sähe man sich eine Band-Dokumentation an, nur dass es statt vier Leuten 18 waren.”

„Wir arbeiteten in einem Büro mit Blechdach über einem Sanitärladen, und die Miete war ziemlich günstig”, erzählt Mark. „Meistens wurde es dort ziemlich heiß, weil es keine Klimaanlage gab, und wir stritten uns über irgendwelche kleinen Details und wollten uns gegenseitig mit Schraubenziehern erstechen – aber so war es natürlich nicht immer. Manchmal schmollten wir auch still vor uns hin und erschufen etwas Brillantes.”

Inspirierende Kreativität

Der Großteil von LittleBigPlanet entstand ganz von selbst, wenn man mal von kreativen Differenzen absieht. Sein charakteristischer Grafikstil entstand aus Marks und Kareems Wunsch heraus, das Spiel „verharmlosend” zu machen. Es sollte die Spieler vergessen lassen, dass sie sich nicht für kreativ oder einfallsreich halten. „Aus irgendeinem Grund ist Kreativität ein Tabu”, sagt Kareem. „Die Leute denken, man ist entweder kreativ oder eben nicht. Das finde ich ziemlich traurig, denn Kinder haben dieses Problem nicht. Mein vierjähriges Kind hat keine Angst, er sagt solche Dinge wie ‚Tut mir leid, ich bin nicht sehr gut, ich hab lang nicht mehr geübt, ich bin eingerostet’ nicht.”

Sie wollten, dass sich das Spiel vertraut und warm, sogar nostalgisch, anfühlt und Erinnerungen an solche Dinge wie das Basteln von Requisiten für Schultheaterstücke erweckt. Dies fügte sich nahtlos in die Echtzeit-Physik des Spiels ein, wodurch sich Objekte tatsächlich wie Pappe oder Holz verhalten konnten. In der Zwischenzeit spielte Alex mit unglaublich tollen Shadern herum, welche dafür sorgten, dass diese Materialien genau so echt aussehen, wie sie sich verhielten.

LittleBigPlanet

Ein etwas strittigeres Element war das Popit-Menü, das einen einfachen Zugriff auf eine Reihe von Werkzeugen, Objekten, Materialien, Optionen und vieles mehr bietet. Es entstand, als das alte Konzept des magischen Pinsels endgültig fallen gelassen und Proto-Sackboy stattdessen ein Inventar gegeben wurde. Die Idee war, dass Sackboy einen Reißverschluss haben sollte, der beim Öffnen einen Mond und sein Zeug zum Vorschein bringt. „Ein wenig schräg …” Kareem verstummt. „Mark hatte diese Idee und fand sie unheimlich toll. Aber wir konnten das nicht animieren!” Trotzdem durfte Sackboy seinen Reißverschluss behalten und dafür kam Popit, ein Menü, das über seinen Kopf erscheinen würde.

Die Entwicklung ging weiter. LittleBigPlanet wurde zum ersten Mal im März 2007 auf der Game Developers Conference in San Francisco vorgestellt, anderthalb Jahre vor der eigentlichen Veröffentlichung, und die Zuschauer waren begeistert. Aber das Team war sich nicht sicher, ob die Leute die Werkzeuge zum Bauen nutzen und ihre Kreationen teilen würden – zumindest nicht, bis Sony im September 2008 eine Beta anbot.

„Das war wirklich eine Wahnsinns-Überraschung, für uns und für Sony”, sagt Kareem. „Uns standen die Münder offen vor Staunen. Wir erlebten etwas, das niemand vorausgesagt hatte. Eine Gemeinschaft aus Spielern, die nicht nur als Konsumenten agierten. Eine sehr clevere und talentierte Gruppe mit seltsamen Talenten aller Art, sehr merkwürdig! Ich weiß nicht, wo sie solche Dinge lernen!” Der Einsatz hatte sich gelohnt, und LittleBigPlanet erschien Ende Oktober unter Lobeshymnen.

Spielertalente

Einer dieser merkwürdig Kreativen war Christophe Villedieu, der zu dieser Zeit als Werbegestalter arbeitete. Er verliebte sich sofort in den handgemachten Look und die Physik von LittleBigPlanet. Als er das Spiel in die Hände bekam, baute er innerhalb einer Nacht ein einfaches, von den Maya inspiriertes Plattformer-Level. Dann fing er an, die Grenzen auszuloten. „Ich wollte einen Flipperautomat bauen”, sagt er. „Die Verwendung der Physikengine war einfach, doch es gab keine Eingabemöglichkeit für die Auslöser oder irgendetwas für eine mobile Kamera, da sie immer nur dem Spieler folgte. Also ‚hackte’ ich das Ganze und versteckte den Spieler in einem Aufzug, der dem Ball folgte. Das Resultat war ziemlich ungewöhnlich.”

LittleBigPlanet
Christophe Villedieus Maya-Level

Ihm gefiel die Resonanz der anderen Spieler, und er fand eine Community vor, die sich schnell entwickelte und Tipps und Tricks austauschte. Irgendwann hatte er genug Selbstvertrauen, um seine Levels dem Team von Media Molecule zu zeigen. „Einige Tage später erhielt ich eine PS3-Nachricht. Ich hatte abgesehen von LBP-Einladungen noch nie eine PS3-Nachricht bekommen, und darin stand, dass das Team meine Levels toll fand, von ihnen beeindruckt war und mich fragen möchte, ob ich nicht mitmachen wolle.”

Er dachte, es handele sich um einen Scherz oder Betrugsversuch, doch als eine weitere Nachricht eintraf, in der er aufgefordert wurde, seinen Lebenslauf an eine E-Mail-Adresse von Media Molecule zu schicken, wusste er, dass es ernst gemeint war.

„Das war wie: Hey, willst du Astronaut werden? Ein absoluter Kindheitstraum! Ich antwortete und schwebte einige Tage lang auf Wolke 7, einerseits stolz, dass ich bemerkt wurde, aber auch eingeschüchtert von der Möglichkeit, eventuell mit solchen Genies arbeiten zu dürfen!”

“Unsere Münder waren offen. Wir wurden Zeugen von etwas, dass keiner vorhergesehen hatte.”

Er schloss sich Media Molecule an und entwarf daraufhin Levels für LittleBigPlanet 2 und Tearaway. Zurzeit arbeitet er an Dreams, gemeinsam mit mehreren anderen Designern, die aus der Community stammen.

Sackboys Vermächtnis

„Ich denke, wir haben damals den Nerv der Zeit getroffen, was vermutlich größtenteils Glück war”, sagt Mark, der extrem stolz darauf ist, dass LittleBigPlanet Spieler dazu inspiriert hat, in der Spieleindustrie zu arbeiten. Für Kareem begann damit eine Bewegung, die sich immer noch weiterentwickelt. Am Anfang ging es darum, den Menschen Werkzeuge zum Erschaffen zur Verfügung zu stellen – nun geht es darum, den Fokus von den Werkzeugen auf die Menschen und die Botschaften, die sie vermitteln wollen, zu verschieben.

Nach LittleBigPlanet entwickelte Media Molecule ihre Vision von benutzergenerierten Inhalten weiter. Sie produzierten zunächst eine Fortsetzung, die den Spielern noch mehr Freiheiten beim Erbauen gewährte – darunter eine programmierbare KI und Kamerasteuerung. Sie entwickelten Tearaway, ein Plattform-Abenteuer, in dem das Erstellen von Papiermodellen eine große Rolle spielt. Und momentan entwickeln sie das sagenhafte Dreams, in dem sich alles ums Kreieren dreht, und transportieren dabei stark weiterentwickelte Versionen der Werkzeuge aus LittleBigPlanet aus dem Plattformer in den freien 3D-Raum, um damit Geschichten erzählen und spielen zu können.

LittleBigPlanet
In Dreams geht es um das Erschaffen von so ziemlich allem

Für Mark, Kareem, Siobhan, Dave, Alex und alle anderen bei Media Molecule war die Schöpfung von LittleBigPlanet eher ein Schritt als ein Abschluss. Und die wirkliche Herausforderung dabei war vielleicht die Schöpfung von Media Molecule selbst, wie Mark sagt. „Zu lernen, wie man mit Freunden eine Firma betreibt, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, das war wirklich das Schwierigste.”

LittleBigPlanet 3 ist im Februar eines unserer Spiele bei PlayStation Plus! Da sich Media Molecule auf Dreams und Tearaway konzentriert hat, wurde es nicht von ihnen entwickelt, doch es hat alles, was das Original so besonders gemacht hat – aktualisiert für PlayStation 4. Ladet es jetzt herunter.

Kommentare sind geschlossen.

Bitte gib dein Geburtsdatum ein.

Date of birth fields