Wir haben dem Game Director von Tokyo RPG Factorys zweitem Spiel einige Fragen gestellt.
Clara Hertzog, SIEE:
Was wäre, wenn eure Lieben auf einmal verschwunden wären? Was, wenn eure wertvollsten Erinnerungen euch langsam entrännen?
Um diese Fragen geht es in Lost Sphear, dem zweiten Projekt von Tokyo RPG Factory, einem Square Enix-Studio. Das neu gebildete Team, das sich nach einem starken ersten Auftritt mit I am Setsuna an ein neues Projekt wagt, will mit diesem Spiel die Erinnerungen einer Generation wecken, die mit den RPGs der 90er aufgewachsen ist. Bei mir hat es auf jeden Fall funktioniert. Selbst die kurze Demo, die ich anspielen durfte, hat mich stark an diese Epoche erinnert.
Tatsächlich war es so, dass bei der Ankündigung des neuen Studios auf der E3 im Jahr 2015, Tokyo RPG Factory als das neue Studio von Square Enix angepriesen wurde, das sich wieder auf die JRPG-Wurzeln des Unternehmens konzentrieren sollte. Spieleserien wie Final Fantasy, Chrono Trigger und Secret of Mana sind immerhin die Art von Spiele, denen Square Enix seinen ursprünglichen Erfolg zu verdanken hat. Nach dem Triumphzug von I am Setsuna ist es nicht verwunderlich, dass auch Lost Sphear in die gleiche Kerbe schlägt. Das klassische ATB-Gameplay, charmante Charaktere, eine melancholische Story, strahlende handgemalte Grafiken und die pianolastige Musik sind das Erfolgsrezept für einen echten Hit.
Wir durften dem Game Director von Lost Sphear, Atsushi Hashimoto, einige Fragen zu seinem neuen Spiel und zu seiner Vision stellen.
Der Grund, warum ein neues Studio gegründet wurde, um der heutigen Generation die RPGs von damals schmackhaft zu machen
Was macht diese Ära so wichtig für dich und was macht deiner Meinung nach den einzigartigen Reiz für die Spieler aus?
Hashimoto: „Bei Tokyo RPG Factory wollen wir die Art von Spiele schaffen, die sich auch nach zehn Jahren oder mehr noch immer ihren Charme bewahren und die uns auf ewig in Erinnerung bleiben – eben wie die RPGs, die wir selbst in den 90ern gespielt haben. Diese Spiele beeinflussen uns nach wie vor und ich denke, das ist auf jeden Fall einer der Gründe – ein äußerst wichtiger Grund sogar.
In den RPGs der 90er gab es viel mehr Spielraum für den Spieler, die Emotionen der Charaktere auf ihren Abenteuern selbst zu interpretieren. Solche Spiele gibt es heute kaum noch, deshalb wollen wir unseren Spielern zeigen, wie viel Spaß es machen kann, wenn man die Lücken mithilfe seiner eigenen Vorstellungskraft füllt.”
Es ist schon lange her, dass diese klassischen Spiele in Mode waren – welche Auswirkungen haben die gewaltigen technologischen Fortschritte auf das Genre? Könnt ihr jetzt Dinge verwirklichen, die damals zu PS1-/2-Zeiten schlichtweg nicht möglich waren?
Hashimoto: „Dank neuer Technik konnten wir den einzigartigen handgezeichneten Grafikstil für die detaillierten Hintergrundmotive des Spiels realisieren. Wir haben uns in Lost Sphear bewusst für diesen Stil entschieden, aber heutzutage haben wir eine Menge Möglichkeiten, was die Grafik angeht. Wir können die Vorstellungskraft der Spieler als auf verschiedenste Weise anregen. Ich glaube, das war zu Zeiten der PlayStation und der PlayStation 2 ziemlich schwierig.”
Was sind die größten Herausforderungen, wenn man sich an ein klassisches Genre wagt und ein Spiel für ein neues Publikum erschaffen möchte, das mit moderneren Spielen aufgewachsen ist? Wenn ihr an diesen Spielen arbeitet, sind euch dann die Spieler wichtiger, die sich voller Nostalgie an diese Spiele erinnern, oder konzentriert ihr euch auf die Spieler, die gar nicht erst in den Genuss dieser Art von Spiele kommen konnten?
Hashimoto: „Wir versuchen, uns an den älteren Spielern zu orientieren, die all die RPG-Klassiker der 90er gespielt haben, aber gleichzeitig sollen natürlich auch jüngere Spieler an unseren Spielen Gefallen finden. Es dauert daher eine Weile, bis wir die richtige Mischung gefunden haben. Es ist wirklich schwierig, sich zu entscheiden, was geändert werden muss und was nicht geändert werden darf. Bei I am Setsuna zum Beispiel war unsere Vision nicht ganz mit der der Spieler im Einklang. Zum Beispiel wunderten sich einige Spieler, warum es keine Gasthäuser gab. Deshalb haben wir uns das Feedback von I am Setsuna bei der Entwicklung von Lost Sphear zu Herzen genommen.”
Das Optimieren des Erfolgsrezepts von I am Setsuna
Erzählt ihr mit Lost Sphear eine komplett neue Geschichte oder können die Spieler Anspielungen auf I am Setsuna erwarten?
Hashimoto: „Die Story von Lost Sphear hat mit der von I am Setsuna gar nichts zu tun. Lost Sphear ist ein komplett neues Spiel. Wir wollten nicht, dass Spieler zuerst I am Setsuna spielen müssen, um das neue Spiel zu 100 % genießen zu können. Jedoch haben wir einige Begriffe von I am Setsuna übernommen und die Spieler, die dieses Spiel gespielt haben, können in Lost Sphear vielleicht etwas mehr hineininterpretieren – wenn sie wollen. Der Vorstellungskraft sind hier keine Grenzen gesetzt und ich bin schon gespannt, welche Theorien die Spieler entwickeln!”
Viele Spieler haben sich sprichwörtlich in die Charaktere von I am Setsuna verliebt – wart ihr versucht, einen direkten Nachfolger zu machen? Wie ist die Entscheidung gefallen, sich einer komplett neuen Geschichte zu widmen?
Hashimoto: „Unserer Meinung nach ist die Story in I am Setsuna abgeschlossen. Mit einem Nachfolger hätten wir uns in dieser Hinsicht auf dünnes Eis bewegt. Wir haben uns stattdessen schon bei der Planung entschieden, dass wir einige der Konzepte von I am Setsuna für ein komplett neues RPG verwenden wollten.”
Der nächste Schritt in der Entwicklung von Lost Sphear
Kannst du uns etwas über das Kampfsystem in Lost Sphear erzählen und wie es sich von dem in I am Setsuna unterscheidet? Worauf habt ihr euch beim Gameplay in Lost Sphear konzentriert?
Hashimoto: „Die größte Änderung ist, dass man sich jetzt im Kampf frei bewegen kann. Viele der Spieler von I am Setsuna gaben uns Feedback dazu und haben sich dieses Feature gewünscht, also haben wir das System entsprechend geändert. Außerdem können Spieler in Lost Sphear jetzt eine Vulcosuit-Exorüstung kommandieren und verschiedene „Paradigm Dive”-Angriffe ausführen, deren Effekte für jeden Charakter anders ausfallen.
Das Gameplay von Lost Sphear richtet sich an „Erinnerungen” aus. Das ganze Spiel baut auf diesem Spielprinzip auf. Diese „Erinnerungen” spielen eine tragende Rolle bei den Ereignissen in der Geschichte von Lost Sphear, aber sie sind auch tief im Gameplay selbst verankert. Mit Erinnerungs-Gegenständen könnt ihr auf der Weltkarte Artefakte erstellen und verschiedene Spezialeffekte im Kampf und bei anderen Spielaspekten auslösen. Ich glaube, diese Spielmechaniken werden für tolle Erfahrungen sorgen, die man so in anderen Spielen nicht findet.”
Bei I am Setsuna habt ihr einen äußerst markanten Piano-Soundtrack verwendet, der von vielen sehr gepriesen wurde. Kannst du uns etwas über den Soundtrack in Lost Sphear verraten?
Hashimoto: „Die Musik in I am Setsuna ist gut angekommen, weshalb wir uns gleich von Anfang an dazu entschieden haben, dass wir auch für Lost Sphear vor allem auf Pianostücke setzen würden. In Lost Sphear gibt es allerdings viel mehr unterschiedliche Orte, die man besuchen kann, als in I am Setsuna. Am Ende haben wir uns dann dazu entschlossen, für jedes Musikstück nicht nur ein Piano, sondern auch noch ein anderes Instrument einzusetzen. So konnten wir die Elemente rüberbringen, die in Setsuna so beliebt waren und uns doch der Herausforderung stellen, etwas Neues zu erschaffen.”
Gibt es etwas, das ihr mit Lost Sphear wirklich gerne erreichen wollt? Etwas, das ihr in I am Setsuna nicht implementieren konntet?
Hashimoto: „Gasthäuser, würde ich sagen. Das ist jetzt aber kein großes Feature. Aber natürlich gibt es da noch andere Sachen. In I am Setsuna gibt es keine großen Zivilisationen und der technologische Fortschritt hält sich in Grenzen. Man fand in dieser Welt also nur sehr wenige andere Reisende, weshalb wir letztendlich einige Features nicht implementiert haben, die in den meisten RPGs mittlerweile zum Standard gehören. Bei Lost Sphear haben wir viele dieser klassischen ‘Must Have’-RPG-Elemente eingebaut und wir hoffen, dass wir den Spielern, die damals die RPGs der 90er gespielt haben, damit ein Lächeln aufs Gesicht zaubern können.”
Letzte Frage: Wenn du die Gelegenheit hättest, einen Franchise-Klassiker „neu zu gestalten” oder „ein neues Kapitel dafür zu erstellen”, für welches würdest du dich entscheiden?
Hashimoto:„Final Fantasy, Dragon Quest und SaGa haben mich alle stark beeinflusst, aber diese Spielereihen gibt es ja immer noch. Wenn man die also ausnimmt, fällt die Entscheidung wirklich nicht leicht, aber vermutlich würde ich mich für Xenogears entscheiden.”
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