„I don’t blame you” – „ich gebe dir keine Schuld” seufzt die mobile Selbstschussanlage und schlägt mit einem dumpfen Knall auf den steril-weißen Fußboden des Aperture Science Labors auf. Und das obwohl wir gerade einen Laser durch ein Labyrinth geleitet, damit erst ein Tor geschmolzen und sie dann gegrillt haben. Sie muss feuern, wir müssen uns wehren – so sind die Regeln im wohl sympathischsten Überlebenskampf-Puzzle „Portal 2″. Der kleine Roboter fährt bedröpelt an Frau Selbstschussanlage vorbei und stellt sich seinem Schicksal. Denn eigentlich versucht der schlaksige Robo P-Body nur zusammen mit seinem etwas rundlicheren Kumpel Atlas aus dem Versuchslabor von Aperture Science zu entkommen.
Best-of-Valve
So funktioniert „Portal 2″: Portal erschaffen, durchspringen, auf Sprungfedern aufsetzen und weiterhüpfen um den heiß begehrten Kubus zu ergattern.
Wer „Portal” nicht gespielt hat, muss zwar die letzten Jahre im Dschungelcamp oder auf dem Mond gleich links verbracht haben, könnte Aperture Science aber als großen Konkurrenten von Black Mesa aus „Half Life 2″ kennen. Überhaupt stecken hier an jeder Ecke Ideen aus dem Valve-Universum. So werden euch die neuen Protagonisten P-Body und Atlas genauso schnell ans Herz wachsen wie D.O.G, der Robohund von der süßen Alyx. Grund sind die putzigen Animationen, die stark an Pixar-Filme erinnern. Steht Atlas über einer Schleuse, die ihn zu verschlucken droht, hebt er ein Bein, versucht seinen Körper auszubalancieren und klappt dann mit einem lauten Piepser vorne über.
Gelingt den beiden ein Level, klatschen sie sich ab. Die Spielmechanik ist ebenfalls im Grunde eine sehr clevere Weiterentwicklung der Gravity Gun aus „Half Life 2″. Denn hier wird nicht geballert, hier werden auch keine Roundhouse-Kicks verteilt. Hier gibt’s nur ein Portalkanone. Die schafft jeweils einen Ein- und einen Ausgang, quasi eine Art Wurmloch. Oder wie es die herrlich zynische Stimme des Computersystems GlaDoS erklärt: „Was schnell hineingeht, kommt auch schnell wieder heraus.” Will heißen: Eingangsportal unter einem Objekt platzieren und es fällt in den leeren Raum. Dort fällt es so lange, bis es durch ein Ausgangsportal wieder herausgeschossen wird. Im Grunde ein simples Prinzip, dass allerdings vor allem im neuen Koop-Modus für rauchende Köpfe und verzwirbelte Hirne sorgt.
Wer RTL-abstinent lebt und seine grauen Zellen schützt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit „Portal” gespielt und wird sich gleich wieder zu Hause fühlen. Wieder starten wir in diesem klinisch reinen Labor mit seinen weißen Fußböden und der reduzierten Optik. Und wieder werden wir von GlaDoS begrüßt, jenem Supercomputer, dem wir in „Portal” erst unsere Freundschaft schenkten und die uns dann im Hochofen brutzeln wollte. Computer denken da eben rein logisch: „Testsubjekt, deine Dienste werden nicht mehr benötigt” hatte sie damals gesagt. Baby, dir glauben wir nichts mehr. Welch fiese Fallen hast du dir wohl dieses Mal ausgedacht?
Physik ist reine Hirnakrobatik
Autsch. P-Body bekommt den Laser direkt in die Schaltkreise, weil wir als Atlas versehentlich das Portal falsch gesetzt haben.
Auf in den Kampf. Wir spielen Atlas, der Kollege neben uns wählt P-Body. Die ersten Level sind noch recht einfach und sollen zeigen wie die neue Koop-Komponente funktioniert. Doch bereits in der 4. Mission wird’s richtig knackig.
Das Ziel ist es einen Schalter zu betätigen, der den Levelausgang öffnet. Dazu müssen die beiden Koop-Partner zunächst eine spezielle Kubus-Kiste mit eingebautem Spiegel organisieren. Diese wiederum wird von einem Behälter fest gehalten, der sich erst nach der Aktivierung eines Energieknotens öffnet. Dazu benötigt Ihr eine Energiekugel, die wild durch den Raum flitzt. Ergo muss der eine Spieler auf der einen Seite des Raumes die Energiekugel einkreisen, während wir wiederum zum genau richtigen Zeitpunkte auf seiner Seite ein Eingangs- und bei uns ein Ausgangsportal öffnen. So wird die Energiekugel zum Knoten geleitet. Dieser befreit den Spiegel-Würfel, den wir mit der Gravity-Gun mitnehmen. Denn bereits drei Stockwerke höher wartet ein Parcours, der gespickt ist mit Laserfallen und Drohnen, die bei Kontakt automatisch das Feuer eröffnen.
Der Parcours ist in zwei Hälften geteilt, die durch Panzerglas abgetrennt sind. Wir sind also im südlichen Teil, der Kollege im nördlichen Quadranten. Die nächste Herausforderung erfordert weniger Timing, dafür ein kluges Köpfchen: Wir müssen die Laserstrahlen durch den Spiegel-Kubus umleiten und damit die Selbstschussdrohnen grillen. Unsere Gegner sind schnell erledigt, aber zwei weitere warten auf der Seite von Kollege Atlas. Der hat keinen Spiegel-Kubus, und keinen Laser. Was tun? Wir öffnen auf unserer und seiner Seite der Glaswand ein Portal und schießen so den Laserstrahl durch. Jetzt schießt er wiederum ein Eingangsportal unter dem Kubus und ein Augangsportal bei sich. Effekt: Er kann den Spiegel-Kubus nutzen um seine beiden Wachdrohnen zu killen. Die stoßen dieses Mal ein leichtes „Hallo. Freunde?” aus.
Flitsch-Flutsch-Traktor-Sprungbrett
Metal Gear Portal: Die Animationen der beiden Robos sind stellenweise schreiend komisch. Hier persiflieren sie Solid Snake.
Damit in „Portal 2″ keine Langeweile aufkommt, bringen die Washingtoner euch nach und nach immer mehr Hilfsmittel bei. Sprungbretter katapultieren euch beispielswiese an vorbestimmte Orte im jeweiligen Raum. Springt also ein dringend benötigter Kubus auf einem dieser Felder herum, hüpft ihr hinterher und schnappt euch das Objekte der Begierde mit einem gut getimten Gravity-Schuss. Aber das ist eigentlich Standard, richtig umgehauen haben uns die orangene Rutsch-Flüssigkeit und das blaue Sprunggel. Die Rutschflüssigkeit ist im Prinzip eine Art Seifenlauge, ihr flutscht damit schneller durch Räume. Im Beispiel gilt es eine Presse zu überwinden, die im regelmäßigen Abstand zusammenschlägt und die beiden Robokumpels zu zerquetschen droht. Setzen wir jetzt ein paar Portale, flutscht die orangene Suppe durch und wird immer schneller, je länger die Rutschbahn wird. Perfekt um richtig Schwung zu holen und über die Pressen zu springen.
Hierbei gibt es immer mehrere Wege: Wir könnten beispielsweise einen Weg zur Pumpe suchen, mehr Flüssigkeit in den Testkomplex pumpen und so schnell wie die schnellste Maus von Mexico durch die tödlichen Stampfer hindurch rutschen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Und die Physik lässt sich leicht überwinden: Die blaue Sprungflüssigkeit weicht Wände zu Gummi auf und lässt Altas und P-Body von Wand zu Wand jumpen als wären sie der Prince of Persia. Alleine durch diese beiden Tools dürften zig verschiedene Möglichkeiten bestehen ein Level zu meistern, doch der Werkzeugkasten an durchgeknallten Ideen füllt sich über gut acht Stunden Gesamtspielzeit immer weiter. So können wir quasi zum nächsten Ziel schweben oder durch cleveren Einsatz der Portale einen Geschützdroiden per Traktorstrahl hinfortschweben lassen. Er sagt: „I don’t blame you” – du hast keine Schuld. Wir sagen: „War auch nicht böse gemeint. Kuchen?”.
Ersteindruck: Sehr gut
„Portal 2″ wird wieder eines dieser Games, die man durchspielen muss. Ein Paradies für Tüftler und Hirnakrobaten. Die Rätsel sind clever, die Charaktere knuffig und das Hirn freut sich über jede Menge Denksport dank neuer Hilfsmittel wie der Flutsch/Spring-Zahnpasta Es gehört eben doch mehr zu einem tollen Spiel als Hollywood-Michael-Bay-Inszenierung. Im Grunde ist es ein LittleBigPlanet auf valvisch – also mit emotionaler Geschichte und reduziertem Look.
Der passt zu diesem Spiel, aber weniger ist nicht immer mehr. Klar wäre hier kein Killzone-Bombast angesagt, aber zeitgemäße Lichtreflektionen und dynamische Schatten kann man schon von einem Multimillionen-Dollar Unternehmen wie Valve erwarten. Schließlich basiert der 3D-Knobbler noch auf einer überarbeiten Version der Source-Engine, die mittlerweile über sechs Jahre auf dem Buckel hat. „PlayStation-Besitzer bekommen die beste Version”, sagt ganz nebenbei Valves Chefautor Chet Faliszek im Interview. Recht hat er, denn Valve hat auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas die Unterstützung für PlayStation Move zugesichert. Spielen konnten wir diese Version allerdings noch nicht. Außerdem bekommen Sony-Sackboys nicht nur die PlayStation 3-Fassung, sondern kostenfrei die PC- und Mac-Version obendrauf. So sollen Koop-Partien zwischen PS3– und PC-Gamern möglich werden. Ein Experiment, wie es nicht besser zu „Portal 2″ passen könnte.
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