Die kreativen Köpfe hinter Humanity: Yugo Nakamura und Tetsuya Mizuguchi im Interview

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Die kreativen Köpfe hinter Humanity: Yugo Nakamura und Tetsuya Mizuguchi im Interview

Shuhei Yoshida spricht mit Yugo Nakamura und Tetsuya Mizuguchi darüber, wie das Spiel eine „vollkommen neue Erfahrung“ hinbekommt.

Shuhei Yoshida spricht mit Yugo Nakamura, Creative Director, Art Director, Designer und Narrative Designer von Humanity und Tetsuya Mizuguchi, Executive Producer von Humanity, darüber, wie es der Titel schafft, eine ganz neue Puzzle-Spielerfahrung zu bieten. Sie sprechen über die zugrunde liegenden Gedanken, mit Humanity eine neue Form der interaktiven Erfahrens zu erschaffen, und wie sie überhaupt auf das Hauptthema des Spiels gekommen sind.

Humanity ist ab heute als Day-1-Titel im Spielekatalog von PlayStation Plus verfügbar.*

Die kreativen Köpfe hinter Humanity: Yugo Nakamura und Tetsuya Mizuguchi im Interview

Inspiriert vom „Schwarmverhalten von Vögeln“

Shuhei Yoshida (SY): Ich habe gehört, dass Sie, Nakamura-san, gern Vogelschwärme beobachten und darin die Inspiration für Humanity gefunden haben. Können Sie uns mehr dazu sagen?

Yugo Nakamura (YN): Ich bin Spezialist für interaktives Design und genieße das Programmieren, meine Arbeit mit anderen zu teilen und visuelle Erlebnisse zu erschaffen. Das macht mir viel Freude und sorgt für meinen Lebensunterhalt. Schätzungsweise sind KollegInnen von mir bereits auf ein Simulationsprogrammen namens „Boids“ gestoßen. Es simuliert im Prinzip das Verhalten von Vögeln in einem Schwarm. Wenn man sich auf ein einzelnes Wesen konzentriert, kann mit einfachen Mitteln sehr organisch wirkende Bewegungen erstellen. Man muss nur drei einfache Regeln programmieren und diese dann verbinden. Bei den Vögeln wirkte die Simulation so lebendig, es war faszinierend zu sehen, wie organisch der Vogelschwarm sich bewegte, auch wenn er auf einer so einfachen Mechanik basierte.

SY: Und da wollten Sie für dieses Spiel einhaken, oder?

YN: Ja. In einem normalen Rennspiel bist du nur dafür verantwortlich, ein Auto zu steuern. Hier waren es dann 300 verschiedene „Autos“. Schon mit dem kleinsten Fehler konntest du 100 Vögel verlieren, aber dann auch schnell wieder 200 hinzugewinnen!

SY: Spielentwickler wie wir möchten die Leute stets überraschen, indem sie etwas erschaffen, das jenseits dessen liegt, was man von den Möglichkeiten einer Hardware erwartet. Als ich Ihr Spiel gesehen habe, hatte ich einen ähnlichen Eindruck.

YN: Auch ich als „Verbraucher“ habe das ähnlich gesehen. Ich war schockiert, wie problemlos Spiele auf der ursprünglichen PlayStation liefen. Was für eine tolle Errungenschaft, dachte ich. Daran anknüpfend entschied ich mich, da ich bereits ein Spiel mit Vögeln für Smartphones realisiert hatte, dass ich ein System bauen wollte, das große Gruppen von Menschen steuerte. So wurde die Idee zu Humanity geboren.

SY: Wie sich Vögel bewegen, wird vollständig vom Instinkt gesteuert, während beim Menschen eine Mischung aus Intellekt und sozialen Konventionen zum Tragen kommt. Auf welche Aspekte haben Sie sich beim Designen der Bewegungen von Menschenmassen konzentriert?

YN: Mein erster Heureka-Moment war, als ich riesige Menschenmassen beim Comic Market (Comiket) in Japan sah. Alle hatten sich ordentlich angestellt und warteten geduldig. Ich war fasziniert davon, wie die Bewegung so vieler Menschen so kontrolliert und geregelt ablief – ich denke, diese Art von Verhalten ist einzigartig für Menschen, die ja nicht nur vom Instinkt geleitet werden.

„Humanity ist etwas Besonderes“ – Entwicklungsbeginn

SY: Wie sind Sie auf Mizuguchi-san gestoßen?

YN: Ich habe Spiele schon immer geliebt und ich kannte Mizuguchi-san bereits während seiner Zeit bei Sega, durch seine Präsenz in Spielemagazinen. Ich war ein Fan seiner Arbeit. Einmal hatte ich ihn kurz getroffen, aber dann sahen wir uns bei der Unity Developer’s Delight – einem von Unity veranstalteten Entwickler-Event. Da hat einer unserer Ingenieure, Yama, eine Demo eines Menschenmassen-Simulators vorgestellt – das war der Prototyp für Humanity. Mizuguchi-san saß in der Jury und hat sich dann später gemeldet.

Tetsuya Mizuguchi (TM): Ich habe Yugo einmal auf dem Japan Media Arts Festival getroffen, das vom japanischen Amt für kulturelle Angelegenheiten veranstaltet wurde. Für mich war er wie ein Superstar, verantwortlich für viele einzigartige und kreative Produkte. Wenn man den Fernseher einschaltete, konnte man immer eine Show sehen, die er produziert hatte. Und wenn du in Ginza spaziergingst, hast du immer UNIQLO-Werbung gesehen, an der er mitgearbeitet hatte.

Dank Enhance findet man sich auch im komplexen Spieldesign zurecht

SY: Nakamura-sans Firma „tha ltd.” ist ja kein Spieleentwickler-Studio. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Enhance?

YN: Wir sind kein Spielestudio, aber wir sind Experten für Design und Technik von interaktiven Erlebnissen. Obwohl wir nicht viel über die Entwicklung von Videospielen wussten, waren wir anfangs doch sehr optimistisch und beschlossen, dass unser Team für die Entwicklung verantwortlich sein wird und Enhance die Rolle des Herausgebers und Produzenten übernehmen wird.

Je tiefer wir jedoch in die Materie eintauchten, desto klarer wurde uns, dass die Entwicklung von Spielen ganz und gar nicht so ist, wie wir es uns vorgestellt hatten. Ich habe schon früh erkannt, dass es für einen Amateur nicht einfach ist, ein unterhaltsames Spielerlebnis zu kreieren, also habe ich mit Mizuguchi-san gesprochen, damit erfahrene Spieldesigner unsere Arbeit beaufsichtigen. Und ab diesem Zeitpunkt haben uns Leute von Enhance bei der Entwicklung unterstützt.

Spaß und Schrecken kollektivierter Menschheit

SY: Ich hatte das Gefühl, dass der Titel des Spiels, Humanity, in einem gewissen Sinne ironisch ist, da er widerspiegelt, wie die Menschheit als Konzept wahrgenommen werden kann. Diese Menschenmassen, Horden im Prinzip, erinnern mich an eine totalitäre Gesellschaft. Ich war wirklich neugierig, ob Sie das Spiel mit einer solchen Ironie im Hinterkopf entwickelt haben oder ob Sie einfach nur ein echtes Interesse an Menschen hatten. Wenn man ein Spiel entwickelt, muss man eine Menge Regeln einführen, was dazu führen kann, dass das Spiel zu etwas wird, was ursprünglich nicht beabsichtigt war. Stellte das ein Dilemma für Sie dar?

YN: Die Inspiration für den Titel des Spiels ist ein T-Shirt, das ich besitze, mit einem Logo, auf dem „Humanity“ steht – ich dachte, das wäre ein cooles Logo, und das Wort selbst hat für mich einen schönen Klang. Aber wenn man darüber nachdenkt, hat Humanität eine sehr tiefe Bedeutung, und als ich darüber nachdachte, welche Rolle Humanität in meinem täglichen Leben spielt, kam mir vieles in den Sinn. Die meisten von uns sind im Allgemeinen gutmütig und vernünftig, die wenigsten sind von Natur aus verrückt. Das ändert sich allerdings drastisch, wenn man sich „Gruppen“ zuwendet. Politik, Krieg, Cancel Culture in den sozialen Medien – Menschen neigen zu Extremen, wenn sie Teil einer größeren Gruppe sind. Der Titel, Humanity, verkörpert den Gedanken, dass Menschen eine neue Eigenschaft erhalten, wenn sie zusammenkommen.

Wenn wir die Menschen als Gruppe und nicht als Individuen betrachten, assoziieren wir sie vielleicht mit dem totalitären und homogenen Bild, das Sie eben erwähnt haben, und die Angst und die Extreme, die sich daraus ergeben, sind sicherlich ein wichtiges Motiv in diesem Spiel.

SY: Die Visuals des Spiels erzeugen ebenfalls Angst.

YN: In früheren Entwicklungsphasen waren sie sogar noch bedrückender und schonungsloser. Wenn man sich einen einzelnen Menschen aus Perspektive der Gruppe anschaute, sah der aus wie ein Staubkorn oder ein winziges Stück Müll. Mizuguchi-san hat uns da gut beraten und wir sind in eine etwas verträglichere Richtung gegangen.

Das Ausweiten der Community mit dem „Stage Creator“

SY: Was war die Idee hinter dem „Stage Creator“?

YN: Eigentlich hat das Entwicklerteam an einem Tool fürs Leveldesign gearbeitet. Irgendwann dachten wir, es könnte doch spaßig sein, das öffentlich zu machen. Es war allerdings eine ganz schöne Herausforderung, das mit einem Controller nutzbar zu machen.

Als wir die Demo veröffentlicht haben, habe ich gesehen, dass die Benutzer Level erstellt haben, die weit über unsere Erwartungen hinausgingen, so dass ich mir sicher war, dass wir eine gute Entscheidung getroffen haben.

SY: Das ging mir bei LittleBigPlanet und Dreams ähnlich. Es ist schön, dass die Spieler die Spiele auf eine Art und Weise nutzen, die sich deren Entwickler nie hätten vorstellen können, und dass sie ihre Kreationen mit anderen Spielern teilen. Die Benutzeroberfläche von Humanity ist ebenfalls sehr gut designt. Level mit hohen Benutzerwertungen und vielen Empfehlungen werden ganz oben angezeigt, so können alle die besonders fesselnden und interessanten Inhalte der Community entdecken.

Die Welt von Humanity in PS VR2

SY: Mit meinem Hintergrund muss ich natürlich erwähnen, dass das Spiel kompatibel mit PS VR2 ist. Das Team von Enhance hat echte VR-Meisterwerke wie Rez Infinite und Tetris Effect: Connected produziert, also war das alles andere als Neuland für Mizuguchi-san. Was war Ihr Eindruck von VR als Medium, Yugo?

YN: Ich mag VR und habe schon seit den ersten Tagen damit herumgespielt, aber ich hatte den Eindruck, dass die meisten VR-Inhalte immersive Einzelspieler-Erlebnisse in Ego-Perspektive sind. Als Mizuguchi-san vorschlug, VR auszuprobieren, dachte ich zuerst, dass es für dieses Spiel nicht geeignet wäre, aber wir haben so vieles entdeckt, als ich es ausprobiert habe. Ich wusste nicht, dass VR in der Lage ist, extrem detaillierte menschliche 3D-Bewegungen in so hoher Auflösung zu erfassen. Wir konnten VR auf einzigartige Weise nutzen, indem der Spieler kleine Menschenmengen beobachten kann, die in einem ausgeklügelten Diorama herumlaufen, als würde man einen Ameisenschwarm beobachten.

TM: Die meisten VR-Spiele, an denen ich bisher gearbeitet habe, sind immersive Erlebnisse aus der Ego-Perspektive, aber ich hatte das Gefühl, dass Humanity aus der Third-Person-Perspektive interessant zu spielen wäre – ähnlich wie Sim City, wo man herumlaufen und alles aus der Vogelperspektive betrachten kann. Zuerst war das Team ein wenig skeptisch, aber als wir es ausprobiert haben, waren alle davon überzeugt. Ab diesem Zeitpunkt verlief die Entwicklung ziemlich reibungslos.

SY: Leistung, etwa die Bildrate, kann bei VR ein Problem darstellen. War das bei Ihnen auch der Fall?

YN: Die Optimierung für PS VR war eine echte Herausforderung, aber bei der PS VR2 hatten wir noch viel Spielraum. Ich denke, wir haben dank der Auflösung der PS VR2 den angepeilten Detailgrad erreicht.

Tetsuya Mizuguchis Meinung zum Potenzial der PS VR2

SY: Wie schätzen Sie die PS VR2 als Entwickler insgesamt ein – auch abseits von Humanity?

TM: Im Vergleich zur ursprünglichen PS VR hat sich die Gesamtqualität dramatisch verbessert, und ich denke, es ist ein erstaunlicher Generationssprung. Als Entwickler bin ich besonders an der neuen Funktion zur Blickerfassung interessiert und sehe darin ein großes Potenzial.

Vielleicht denken Sie auch, dass wir bei Enhance von Haptik besessen sind – nun, das sind wir auch, aber wir sind vor allem daran interessiert, Erlebnisse zu schaffen, die Haptik beinhalten. Deshalb ist für uns die Integration des haptischen Feedbacks ins Headset von großer Bedeutung. Als ich den Synästhesie-Anzug für Rez Infinite entwickelt habe, habe ich zum Beispiel herausgefunden, dass man die Welt mit den Sinnen des ganzen Körpers erleben kann, wenn es eine gewisse Distanz gibt. Man kann förmlich spüren, wie Objekte vorbeifliegen oder auch die Taktvarianzen der Musik. Was sonst nur in den Handflächen präsent war, wird nun auf das Headset ausgeweitet, das bringt uns enorm viele neue Möglichkeiten.

Eine perfekte Mischung aus Rätseln und Erzählung, die ein Durchspielen lohnend macht

SY: Die Entwicklung hat fünf Jahre in Anspruch genommen. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie darauf zurückschauen?

YN: Na, eigentlich standen wir die ganze Zeit kurz vorm Scheitern, haha. Ich habe ja bereits erwähnt, dass das Spiel eine Erweiterung eines interaktiven Designs war, an dem wir gearbeitet hatten, und es gab Teile des Prozesses, die genau so waren, wie wir es uns vorgestellt hatten, und Teile, die völlig unerwartet waren. Die grundlegenden Aspekte der Entwicklung entsprachen unseren Erwartungen, aber der Prozess der Verfeinerung des Spiels, um es unterhaltsamer und angenehmer zu machen, war wirklich einzigartig.

SY: Humanity produziert ja beim Spielen keinen Stress. Falls man scheitert, kann man es sofort erneut versuchen, man wird direkt wieder an eine vertraute Position versetzt. Ich hatte das Gefühl, dass das Spiel dem Benutzer entgegenkam und ihm ermöglichte, sich beim Spielen wohlzufühlen. Humanity ist als Teil des Spielekatalogs von PlayStation Plus verfügbar, und Spielern aus aller Welt gefällt es. Wie fühlt sich das für Sie an?

YN: Schrecklich! Die Inhalte, die ich sonst produziere, haben eine Dauer von 5 bis maximal 15 Minuten. Bei Videos brauche ich die Aufmerksamkeit der Zuschauenden nur für sehr kurze Zeit. Und auf diese Dauer kann ich mich konzentrieren und auf maximalen Effekt gehen. Bei Spielen geht diese Zeit ja oft in die Hunderte Stunden. Da muss ich mich doch fragen, ob unser Spiel es wert ist, dass die Spielenden so viel Zeit investieren. Als Entwickler kann ich nicht sehr objektiv sein, und da ich schon so lange an der Entwicklung des Spiels beteiligt bin, kann ich nicht einmal mehr behaupten, dass ich objektiv bin.

SY: Was möchten Sie denjenigen sagen, die Humanity noch nicht gespielt haben?

YN: Es gibt ja Leute, denen Puzzle-Spiele an sich nicht liegen, ich aber, dass sie unserem Titel eine Chance geben. Natürlich macht das Rätseln Spaß, aber ich möchte die Spieler ermutigen, einfach loszulegen und das Spiel als Spielplatz zu betrachten; die Masse auf verschiedene Weise zu bewegen und zu experimentieren, indem man sie verschiedene Dinge tun lässt. Dann wird man Zeuge einer Menge interessanter Verhaltensweisen. Wir haben viel daran gelegt, ein Spiel zu kreieren, das nicht langweilig wird.

Es ist Teil des Spielekatalogs von PlayStation Plus, wer also bereits Mitglied ist, kann es jederzeit spielen. Es würde mich sehr freuen, wenn alle es einmal ausprobieren.

TM: Humanity ist ein Spiel, das eine ganz neue Erfahrung liefert. Wenn man mich nach einem Genre fragt, würde ich sagen, es handelt sich um ein Puzzle-Spiel. Es ist einfach genug, dass jeder ihm etwas abgewinnen kann – von Kindern bis zu alten Personen, selbst die Generation unserer Eltern. Alles, was geschieht, ist spektakulär. Und allein das ist schon interessant. Aber ich denke, es vor allem ein erzählerisch wertvolles Spiel: man stürzt sich in die Geschichte von Humanity.

Man kann allein damit viel Spaß haben, aber wenn Freunde und Familie neben einem sitzen und die nächsten Schritte diskutieren, macht es noch mehr Spaß. Man kann es aber auch wie ein Party-Spiel spielen, in dem alle gegen das Spiel antreten. Ich hoffe, jeder genießt das Spiel auf seine Art, und kommt dazu, bis zum Ende durchzuspielen.


*Humanity ist für PS4, PS5, PS VR und PS VR2 verfügbar. Es ist auch Teil des Spielekatalogs von PlayStation Plus, wenn man über eine Mitgliedschaft bei PlayStation Plus Extra oder PlayStation Plus Premium verfügt.

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