Der Komponist von God of War Ragnarök spricht über die Entstehung des wunderschönen Soundtracks

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Der Komponist von God of War Ragnarök spricht über die Entstehung des wunderschönen Soundtracks

Vom Erschaffen neuer Familienthemen bis zur Überraschung eines ganz besonderen Gastauftrittes.

An einem Frühlingsnachmittag im Jahr 2016 schritt ich im Shrine Auditorium in Los Angeles im Zuge des Gaming-Events E3 zwischen einem vollen Saal und einem Symphonieorchester über die Bühne, um ein Thema zu dirigieren, das ich verfasst hatte und der Öffentlichkeit bis dato unbekannt war. Noch bevor der Titel des Spiels enthüllt wurde, lauschte das Publikum einem mitreißenden symphonischen Erlebnis mit nordischen Volksinstrumenten, einem Chor und starken Melodielinien. Nach meiner Ouvertüre öffnete sich der Vorhang und eine Vision eines älteren Kratos trat aus den Schatten. So wurde angekündigt, dass ein neuer Teil der Blockbuster-Reihe God of War von PlayStation in Entwicklung war, in dem der Charakter gealtert und Teil einer erwachseneren Erzählung sein würde. Als das Spiel 2018 erschien, waren Kritiker begeistert und Fans enthusiastisch, und der rachsüchtige Gott Kratos und sein Sohn Atreus nahmen ihren Platz im Pantheon der beliebtesten Videospielcharaktere aller Zeiten ein.

Im Frühjahr 2019 fand ich mich erneut im Büro von Santa Monica Studio wieder, zu einem Kreativmeeting für den Nachfolger: God of War Ragnarök. Damals stellte der bisherige Director des Spiels, Cory Barlog, mir seinen Nachfolger Eric Williams vor. Cory und Eric haben jahrelang gemeinsam an dieser Reihe gearbeitet und ich spürte sofort, dass Eric ebenso Feuer und Flamme für das Material war wie sein Vorgänger und auch ebenso erfahren im Umgang damit. Nachdem ich das Skript gelesen hatte, wurde mir der Umfang von God of War Ragnarök klar. Die Geschichte der ambitionierten Fortsetzung erweitert das intime Charakterdrama zwischen Kratos und seinem Sohn Atreus, indem mindestens ein Dutzend neue Charaktere aus allen neun Welten der nordischen Mythologie eingeführt werden. Die Kulissen und Actionszenen sind sogar noch bombastischer als im Vorgänger, und doch sind die dramatischen Spannungsbögen genauso ergreifend wie die des ersten Teils. Um diese ambitionierte neue Erzählung angemessen zu unterstützen, musste ich God of War Ragnarök mit neuen musikalischen Themen füllen. Gleichzeitig mussten diese jedoch eine Verbindung zu meinem Material aus God of War (2018) besitzen.

Für diesen ersten Teil hatte ich mich mit schonungslosem Enthusiasmus auf den Soundtrack gestürzt, wild entschlossen, die akustische Komponente der Reihe von Grund auf neu zu gestalten, damit sie zum anspruchsvolleren Ton der Neuausrichtung passen würde. Dieses Mal spürte ich jedoch den Druck, im Schatten meiner eigenen vorherigen Arbeit Musik verfassen zu müssen.  Spieler in aller Welt hatten emotionale Verbindungen zu meinen musikalischen Themen geknüpft und mein Werk war mit mehreren bedeutenden Auszeichnungen der Branche prämiert worden. Der Gedanke daran, auf diesen Ideen aufzubauen und sie womöglich sogar noch zu verbessern, war einerseits aufregend, andererseits aber auch Furcht einflößend.

Ich fing im Sommer 2019 an, für God of War Ragnarök zu komponieren. Mir war vollends bewusst, dass dies der Beginn einer Reise war, die zu den kreativ herausforderndsten meiner Karriere zählen würde.

Warnung: Der folgende Text enthält moderate Spoiler für God of War Ragnarök

Der Komponist von God of War Ragnarök spricht über die Entstehung des wunderschönen Soundtracks

Neue Themen für neue Familien

God of War Ragnarök ist eine Geschichte über zerbrochene Familien, die versuchen, wieder eins zu werden. Zur Unterstützung dieser Geschichte brauchte ich zwei zusätzliche Themen, die für Familien stehen, denen Kratos und Atreus auf ihrer Reise begegnen.

Thema: Huldu-Brüder

Die Zwerge Brok und Sindri, kurz: die Huldu-Brüder, waren im letzten Spiel Nebencharaktere. Sie kümmerten sich um Kratos‘ Waffen und brachten ein wenig heitere Unterhaltung sowie die herzergreifende Geschichte zweier entfremdeter Brüder, die sich wiederfinden, in das Spiel. In God of War Ragnarök wurde ihre Rolle deutlich ausgebaut und die Spieler besuchen jetzt auch ihr Zuhause Svartalfheim. Ich musste ihnen ihr eigenes Thema verpassen, das uns auch etwas über die Kultur der Zwerge verrät.

Das Thema für Brok und Sindri startet mit einem fröhlichen Ummpa-Ostinato auf Gambe und Nyckelharpa.

Das heitere Wesen des Themas wird vom prägnanten 7/4-Takt bestimmt, der ein asymmetrisches Ungleichgewicht bildet. Der Groove ist vergnügt, gewinnt aber zunehmend an Schwere, während das Thema sich weiterentwickelt.

Der wahre Charme der „Huldu-Brüder“ stammt aus der Melodie, die ein Drehleier-Solo markant in den Mittelpunkt stellt. (Das Solo habe ich selbst eingespielt, aber ich persönlich stelle mir gern vor, dass ein Charakter namens Ræb das Thema darbietet. Auf ihn kommen wir noch zurück.) Ihre Melodie webt sich mit klangvollen, sich wiederholenden Mustern um den asymmetrischen Takt und beinhaltet einen „Scotch Snap“, einen Rhythmus, den man häufig in schottischer Folkloremusik findet.

Der gefühlvolle Mittelteil des B-Themas der Huldu-Brüder deutet an, dass mehr Emotionen in ihrer Geschichte stecken als nur heitere Unterhaltung. Und in der Tat entwickelt sich ihr Thema im Laufe des Spiels stärker weiter als so ziemlich jedes andere. Am Ende ihres Stückes hören wir ihr Thema ein letztes Mal – in einem düsteren, melancholischen Cello-Solo, das auf extreme Weise mit dem heiteren Klang des Anfangs kontrastiert. Gegen Ende des Soundtrack-Albums baut „Ræb‘s Lament“ auf Varianten dieser Melodie auf, die von Drehleier und Orchester dargeboten werden. Ohne die Geschichte spoilern zu wollen: Wenn ich meinen Job gut gemacht habe, dann wird diese heitere kleine Melodie euch das Herz brechen, bevor der letzte Abspann von God of War Ragnarök läuft.

Thema: Ragnarök

Das letzte neue Hauptthema, das ich für dieses Spiel komponiert habe, gehört zu einer anderen Familie und steht für die Antagonisten aus Asgard, also Thor und seinen Vater Odin, sowie für das prophezeite Ereignis Ragnarök selbst. Es war eine große Aufgabe, eine musikalische Macht zu komponieren, die es mit Kratos aufnehmen kann (dessen Thema mit tiefem, kräftigen Männergesang beginnt, der Gefahr und Stärke ausstrahlt). Es war schlichtweg unmöglich, ein Schurkenthema zu verfassen, das das von Kratos im Hinblick auf Stärke und schiere Kraft übertrumpfen konnte. Also suchte ich im Skript nach Inspiration.

Odin, in God of War Ragnarök von Richard Schiff verkörpert, widersetzt sich allen Erwartungen des Publikums. Eric Williams beschreibt ihn als Schlange im Gras. Er ist von schmächtiger Statur und seine gewaltige Macht wird oft nur angedeutet. Er scheut sich nicht, Gewalt anzuwenden, aber er bevorzugt es, seine Ziele durch psychologische Mittel zu erreichen. Darüber hinaus dachte ich an die unheilvolle bevorstehende Gefahr von Ragnarök selbst, die wie eine Gewitterwolke über dem Horizont der Geschichte hängt. Diese Ideen inspirierten mich, das Thema für Ragnarök mit einem schleichenden, gefährlichen und doch unterschwelligen Ostinato zu beleben. Ich wollte, dass dieses Streichmuster mit einem unbarmherzigen Triolenrhythmus, der wie ferner Donner über den Soundtrack rollt, Macht und Bedrohlichkeit impliziert.

Dieses Ostinato wird im Laufe der Geschichte immer lauter. Darüberliegend vermittelt die Hauptmelodie des Ragnarök-Themas finstere Erhabenheit und unheilvolle Vorahnung, häufig in Form von männlichen Chorgesängen mit altnordischem Text.

Ich habe ungefähr ein halbes Jahr lang die Themen für das Spiel skizziert, wobei ich häufig in Zusammenarbeit mit meinen kreativen Partnern bei Santa Monica Studio kleine Änderungen vorgenommen habe. Einige davon gingen leicht von der Hand, aber von mehreren gab es fünf oder sechs Versionen, bevor ich bei etwas Vielversprechendem landete. Besondere Mühe machte mir Atreus‘ Thema – ich war anfangs schier erstarrt angesichts des großen Drucks, ein Thema zu verfassen, das es mit meinen beiden ikonischsten Melodien aus God of War (2018) aufnehmen konnte. Am Ende war ich jedoch zuversichtlich, dass meine neuen Themen für Atreus, Angrboda, die Huldu-Brüder und Ragnarök den Melodien gewachsen waren, die ich für das letzte Spiel komponiert hatte.

Ræb und ich

Das Komponieren der Musik für God of War Ragnarök war eine Erweiterung all dessen, was ich für God of War (2018) getan hatte, und resultierte in einem der größten Orchesterwerke meiner bisherigen Karriere. Allerdings ging mein Mitwirken am Spiel sogar über die Musik hinaus.

Im Frühling 2019 schlossen Eric Williams und Cory Barlog unser erstes Kreativmeeting für das Projekt damit ab, dass sie mir Konzeptzeichnungen zeigten. Ich war sprachlos, als ich ganz unten im Stapel einen stämmigen Zwergenburschen erblickte, der eine wunderschöne Drehleier hielt und dessen überaus attraktives Gesicht mir merkwürdig vertraut vorkam! Zuerst dachte ich, der geniale Art Director des Spiels, Raf Grassetti, hätte mich als Zwerg gezeichnet, um mir mit dem Bild eine Freude zu machen. Doch dann war ich noch sprachloser, als Eric und Cory mir sagten, dass das Bild kein Witz sei – dies war der Charakter Ræb, dem Kratos und Atreus im Spiel auf ihren Reisen begegnen sollten. Und ich sollte das Motion Capturing für ihn aufnehmen und seine Texte einsprechen!

Über zwei Jahre später betrat ich im Sommer 2021 PlayStation’s Santa Monica Studio nicht als Komponist, sondern als Darsteller. Ich kam an der Motion-Capture-Bühne an und die Techniker beklebten meinen ganzen Körper und meine Drehleier mit kleinen Sensoren. Mir wurde erklärt, dass diese Sensoren meine Bewegungen aufzeichnen und sie umgehend in Animationsdaten für meinen digitalen Avatar umwandeln würden.

Als ich die Bühne betrat, war ich verblüfft, wie leer diese wirkte – wie eine Industriehalle mit Hightech-Geräten an den Seiten einer leeren Fläche. Außen herum fanden sich auch Bildschirme und auf ihnen sah ich dann die wahre Magie: eine digitale Fantasy-Umgebung, die die Taverne in Svartalfheim darstellte. Ich betrat die digitale Taverne und erblickte Ræb. Schnell merkte ich, dass er herumlief, weil ich herumlief! Ich blieb erst einmal stehen, und begeistert wie ein kleines Kind mit einem neuen Spielzeug fing ich an, herumzuspringen und mit den Armen zu wedeln. Jede meiner Bewegungen ahmte mein digitaler Avatar in Echtzeit nach! Das war wie ein verrückter Zerrspiegel in einem Vergnügungspark, in dem ich mein digitales Zwergenspiegelbild sah! Und so kicherte ich vor mich hin, während ich mich bewegte und Ræb es mir gleichtat.

Um einen Darsteller in ein Videospiel zu versetzen, muss man seine Bewegungen aufzeichnen, im Fachjargon: eine „Mo-Cap-Session“ durchführen. Die Techniker sagten mir, dass man für gewöhnlich ein oder zwei Sensoren an den Händen anbringt, um die Bewegung der Arme einzufangen, die exakten Fingerbewegungen jedoch normalerweise später animiert. Da allerdings so viel meines Motion-Capturings mit dem Spielen eines Instruments zusammenhing, beschlossen sie, alle meine Finger mit Sensoren zu versehen. Das hatten sie noch nie zuvor versucht! Nachdem sie fertig waren, saß ich dann da und spielte die Drehleier, während auf den Bildschirmen Ræbs digitale Finger genau wie die meinen, mit genau denselben Bewegungen, über die Tasten seiner eigenen Drehleier flitzten.

Wie sich danach herausstellte, war das Aufzeichnen des Drehleier-Spiels allerdings der einfachste Teil gewesen. Ich musste außerdem so tun, als wäre ich in einer belebten Taverne, und die körperlichen Reaktionen auf verschiedene Interaktionen mit Kratos und Atreus nachahmen. Ich gab alles und hatte so viel Spaß wie nur möglich, während ich mich bemühte, die etwas peinliche Realität auszublenden: dass ich einen hautengen Schlafanzug voller Punkte anhatte und so tat, als wäre ich ein Zwerg mit einer Drehleier, und das inmitten eines Raums voller Menschen, die mich anstarrten.

Ich liebte die körperliche Komponente des Motion-Capturings. So spaßig das allerdings auch war, es bereitete mich nicht darauf vor, wie aufregend die Aufnahme von Ræbs Sprechtexten ein paar Wochen später sein würde. Ich arbeitete in einem kleinen Aufnahmestudio in Los Angeles zusammen mit dem Texter Matt Sophos, der mich durch die Sprachaufnahmen führte. Obwohl ich mich noch nie wirklich als Sprecher betätigt hatte, war der kreative Prozess der Zusammenarbeit mit Matt als Sprecher nicht sonderlich anders als der als Komponist mit einem Director oder Producer beim erzählerischen Komponieren. In beiden Fällen versucht man zu erreichen, dass das Publikum angesichts des Erlebten etwas Bestimmtes fühlt. Als Komponist erreiche ich dieses Ziel durch Verwenden von Noten, Akkorden und Rhythmen. Schnell wurde mir klar, dass der einzige Unterschied war, dass ich dieses Ziel als Sprecher mittels Sprechrhythmus, Betonung und Tonfall erreichen konnte.

Es war unglaublich spannend, Ræb für God of War Ragnarök ins Leben zu rufen. Je länger ich mit Matt an den Texten arbeitete, desto klarer wurde mir Ræbs Situation, und ich verstand insbesondere seine Gefühle Kratos‘ Begleiter Mimir gegenüber. Als ich vom Aufnahmestudio nach Hause fuhr, war ich völlig aufgedreht und mein Herz pochte in meiner Brust. Ich kann definitiv sagen, dass die paar Stunden, die ich mit Ræbs Sprechtexten verbracht habe, zu den aufregendsten kreativen Erlebnissen meines Lebens zählen. Ich glaube zwar nicht, dass ich so schnell den Beruf wechseln werde, aber ich würde diese Kunstform nur zu gerne weiter erkunden!

Die vollständige, ungekürzte Fassung dieses Artikels findet ihr hier auf der Website von Bear McCreary.

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