Regisseur Andy Serkis führt uns durch den Entwicklungsprozess hinter den überlebensgroßen Charakteren
Venom stellt sich ins Rampenlicht. Der Fanliebling aus Spider-Man hat bereits einen Überraschungsauftritt in einem neuen Trailer während dem PlayStation Showcase von diesem Monat gemacht. Und jetzt kehrt er auf die Leinwand zurück und zwar in Venom: Let There Be Carnage. Dieser Symbionten-gefüllte Nachfolger des Kinokassen-Schlagers von 2018 lässt uns Tom Hardy erneut in der Rolle von Eddie Brock (und als die Stimme seiner Alien-Hälfte) bewundern. Die zwei müssen sich einer anderen Comicbuch-Kultfigur stellen, die eine schreckenerregende Live-Action-Adaption erhalten hat: Carnage, ein weiterer außerirdischer Symbiont, dessen menschliche Seite, der Serienkiller Cletus Kasady, von Woody Harrelson dargestellt wird.
Regisseur dieses Zusammentreffens der Giganten ist Andy Serkis, der nicht unerfahren darin ist, digitalen Charakteren so Leben einzuhauchen, dass die Kritiker damit hochzufrieden sind: Man nehme seine aufregende Interpretation von Gollum in Herr der Ringe oder die Art, wie er Emotionen in das Gesicht von Caesar in Planet der Affen brachte. Seine Produktionsfirma The Imaginarium ist spezialisiert auf Motion- und Performance-Capture in Film, Fernsehen und Videospielen. Mit Ausnahme von Hardy selbst ist Serkis wahrscheinlich am besten dafür geeignet, Venoms Live-Action-Erscheinung weiter anzupassen und zu verfeinern. Und genau darüber haben wir gesprochen, als ich mich (virtuell) mit ihm zusammengesetzt habe, um über den Nachfolger-Film zu sprechen.
Du hast eine Vorlage des Charakters „Venom“ aus dem Original, mit der du arbeiten kannst. Wie bist du den Charakter bezüglich Design und Bewegung für den Nachfolger angegangen?
Eine Sache, die ich unbedingt machen wollte, als ich angefangen habe, ist, eine komplett unterschiedliche Physik für Venom und Carnage zu entwickeln. Venom hat starke Ähnlichkeit mit einem American-Football-Spieler, den man mit einem 200-Kilo-Gorilla und einem Killerwal gekreuzt hat. Das hat eine Direktheit an sich: wie er angreift, wie er sich bewegt. Diejenigen, die ganz genau hinsehen, werden feststellen, dass viel mehr Interaktion mit der Umgebung stattfindet. Er hat Gewicht. Man sieht die Muskelbewegungen, Bewegungen der sekundären Muskulatur. All das spielt eine große Rolle, wenn er Gebäude hochklettert. Man sieht den Schaden – die Fußspuren sozusagen. Man kriegt ein viel besseres Gefühl für sein Gewicht.
Und Carnage?
Da wollten wir das Gegenteil erschaffen, was bedeutet, weniger auf zweibeinige Fortbewegung zu setzen, sondern eher auf ungewöhnliche Bewegungen, die eine richtige Manifestation der verdrehten und psychotischen, idiosynkratischen Denkweise und Gefühle von Kasady darstellen. Denn so verhalten sich [Symbionten]. Sie spiegeln das Innenleben ihres Wirts wider.
Wir haben einige Zeit in der Vorbereitungsphase verbracht und Performance-Capture bei Parkour-Künstlern und Tänzern angewendet. Wir haben verschiedene Wege gefunden, den Körper fortzubewegen, Seitenschritte, Schwingen. Diese grundsätzliche Bewegungsart bringt den Schwung für die Tentakeln, sodass sie dem Charakter hinterher peitschen. So konnten wir später diese Animation der Bewegung hinzufügen, die wir geschaffen hatten. So konnten wir vermitteln, dass er eher einem glitschigen Oktopus ähnelt. Er benutzt die Tentakeln zur Fortbewegung, zum Ziehen und Schieben und er kann sie auch als Waffe einsetzen.
Er ist also ein deutlich gegensätzlicher und beachtlicher Gegner. Denn das hier ist nicht wie ein Kampf zwischen zwei Sumoringern. Es ist ein Sumoringer gegen einen glitschigen Oktopus.
Tom und Woody sind auch die Stimmen von Venom und Carnage. Habt ihr irgendwelche Stimmanpassungs-Technik benutzt und was war eure Richtlinie für beide, wie sie ihre andere Hälfte am besten darstellen können?
Toms Prozess für die Entwicklung von Venom insgesamt ist durch dessen eingespielte Stimme in seinem Ohr. Vor jeder einzelnen Szene nehmen wir Venoms Stimme auf. Wir gehen in eine Ecke des Studios, und er geht eine ganze Reihe Takes für jede Zeile durch, und wir suchen uns eine Version davon aus. Und der Tontechniker funkt dann eine Zeile in Toms Ohr. So kann die ganze Szene nacheinander für Tom eingespielt werden. Und weil ein Großteil davon eine innere Stimme von Venom ist, konnte Tom wirklich improvisieren und mit Venom ineinandergreifen.
Woody dagegen hört Carnage lieber über große Lautsprecher, weil er ein größerer Charakter ist. Er ist körperlich größer und wollte, dass sich die Stimme mehr anfühlt, [als sei sie] extern anstatt in seinem Kopf. Trotzdem möchte man den Zusammenhang zwischen den Wirten und den Symbionten, deshalb haben beide auch ihrem anderen Charakter ihre Stimme geliehen. Wir haben sowohl für [die Stimmen von] Venom als auch Carnage einen Tonlagen-Anpasser benutzt.
Gibt es eine bestimmte Technologie, die du über die letzten paar Jahre eingesetzt hast oder speziell für Venom entwickelt hast, die es erleichtert hat, digitale Charaktere und Schauspieler oder echte Filmsets zu vermischen?
Wir haben keine Performance-Capture-Technologie verwendet. Wir hatten einen Referenzpunkt, einen sehr großen Kerl, der Venom spielt, der die Decke durchbricht, wenn er aufsteht. Das war unsere Belichtungs-Referenz. Eines der wichtigsten Dinge, die ich erreichen wollte, war die Integration dieser Charaktere [in die Umwelt]. Da verzeihen sie nichts, denn sie sehen sehr comichaft aus – es sind ja auch Comicbuch-Charaktere. Und das hat viel mit zwei Personen zu tun: Bob Richardson, Bildregisseur und offensichtlich Meister seines Fachs, dreimaliger Gewinner des Academy Awards als Bildregisseur und für visuelle Effekte. Und Sheena Duggal, Leiterin für visuelle Effekte.
Nimmt man als Beispiel einen Charakter wie Carnage, der eine so gesättigte, helle rote Farbe hat. Es ist wichtig, dieses Rot richtig hinzukriegen. Aber das kann man nicht einfach in den Film stecken, dessen Sättigung nicht so hoch ist, dass es zusammenpasst. Auf gewisse Weise wurde der ganze Film von der Farbgebung von Carnage getrieben. Man wird feststellen, dass die Farben in diesem Film eine wesentlich höhere Sättigung haben.
Es geht nicht darum, einen CG-Charakter zu zelebrieren, sondern er ist einfach da, in der echten Welt. Und man möchte, dass er sich auch echt anfühlt. So, als würde man sie zufällig mit der Kamera erwischen, anstatt dass alles perfekt in Szene gesetzt ist.
Das hier ist nicht das erste Mal, dass du daran mitgewirkt hast, einen Kult-Charakter vom Papier auf den Bildschirm zu bringen. Hast du den Druck der Erwartungen wieder gespürt?
Natürlich. Den spürt man immer. Es werden hohe Erwartungen gestellt. Die Leute hängen sehr an diesen Charakteren, und jeder hat seine eigene Meinung. Sie wollen, dass die Version, die sie seit Jahren in ihrem Kopf haben, auf dem Bildschirm erscheint. Man muss sich ein Venn-Diagramm mit 1.000 verschiedenen Versionen dieses Charakters vorstellen, die alle zusammenlaufen, und dann hat man noch seine eigene Version. Ich glaube, was wir erschaffen haben, fühlt sich sehr originalgetreu an.
Dann stellt sich noch die Frage, wie finster man es angeht, und bezüglich Gewalt, ob der Film eine Jugendfreigabe erhalten soll. Es gibt eine Version, in der er keine bekäme. Wir hätten diesen Weg wählen können. Aber wir erzählen diese Geschichten für das größtmögliche Publikum. Ich glaube, wir haben alles ausgereizt, was möglich war, ohne sensationslüstern, übertrieben blutrünstig oder unnötig gewaltfreudig zu sein. Wir haben es bis zum Äußersten getrieben.
Was sind für dich die wichtigsten Eigenschaften von Venom, die jeder, der an dem Charakter arbeitet, berücksichtigen sollte?
Es gibt zwei Sachen. Zum einen die Physik. Und dann noch das, was die Beziehung zwischen Eddie Brock und Venom ausmacht. Eddie Brock ist ein echter Antiheld. Er ist fehlerbehaftet, narzisstisch und egoistisch. Er ist praktisch ein Lügner sich selbst und anderen gegenüber. Wohingegen Venom, der auf diesem Planeten gelandet ist, seinen perfekten Partner gefunden hat. Er hat fast schon eine unschuldige Ehrlichkeit an sich. Eine Offenheit. Er hat keinen Filter. Und Venom hat etwas Ansprechendes an sich. Ja, er beißt den Leuten den Kopf ab, aber nicht, weil er sich das aussucht – es ist einfach seine Ernährungsweise. Es gibt in keiner Weise eine Wertebeurteilung.
Ich denke schon, dass er zu Wut und Aggressionen und auch unnötiger Gewalt fähig ist. Aber insgesamt ist er sehr ehrlich. Und in unserem Film gibt es diese wunderbar komödiantische Komponente in der Beziehung der beiden. Sie ist so komplex. Sie funktioniert nicht richtig. Aber gleichzeitig können sie auch nicht ohne einander. Und sie haben auch eine gewisse Liebe für einander und für das, was sie einander geben. Unsere Geschichte ist ein Moment, der sich seit sieben Jahren anbahnt. Sie leben in einer kleinen Wohnung und gehen sich gegenseitig auf die Nerven. Menschen, die im Lockdown waren, können sich damit identifizieren. Es hat den Knackpunkt erreicht, aber am Ende wissen sie beide, dass das, was sie einander geben können, auf jeden Fall wichtiger ist, als das, was sie einander nicht geben können.
Venom: Let There Be Carnage gibt ab 21. Oktober exklusiv im Kino. Mehr dazu hier.
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