Wie man einen Klassiker kreativ in die Moderne versetzt.
Streets of Rage 4 macht vieles genau richtig. Da wäre zum Beispiel das grandiose Kampfsystem, in dem sich Gelegenheitsspieler wie Kampfsportmeister fühlen und sich Kampfspielfans dank jeder Menge anspruchsvoller Techniken so richtig austoben können. Oder der Soundtrack mit seinen mitreißenden Tracks und eingängigen Beats, die nicht nur die Action auf dem Bildschirm unterstreichen, sondern auch für sich genommen ein wahrer Ohrenschmaus sind. Die neuen Charaktere mit Kultfaktor. Die von Hand gezeichnete Grafik, die euch förmlich vom Bildschirm aus entgegenspringt.
Streets of Rage 4 hätte auch vieles falsch machen können. Den Zauber der originalen, nach wie vor umjubelten Sidescroller-Beat-‘em-up-Trilogie nachstellen zu wollen, schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Zum Glück haben die drei Studios, die sich dieses höchst unerwartete Revival vornahmen – Dotemu, Lizardcube und Guard Crush Games –, ihre Hausaufgaben gemacht.
Sie studierten die originalen Designdokumente bis ins Detail. Pflückten die Formel auseinander. Redeten mit den Schöpfern und den Fans. Wägten ab, was modernisiert werden und was unbedingt so bleiben musste, wie es war. Das Ergebnis dieser dreijährigen, akribischen Vereinigung von Alt und Neu erweckt den Geist dieser Klassiker bildschön zu neuem Leben. Ganz entscheidend dabei: Es fühlt sich nicht wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Ära an.
Ein großartiges Beispiel: die Neukonfiguration der Spezialangriffe der Charaktere. Zuvor konnten diese starken Moves zwar ganze Brocken aus der Energieleiste des Gegners reißen, doch dafür musstet ihr kostbare eigene Gesundheit einbüßen. In Streets of Rage 4 wird verlorene Gesundheit gespeichert und kann zurückgewonnen werden … wenn ihr in der Offensive bleibt und keinen Treffer kassiert. Nur eine kleine Änderung, aber mit sehr positiven Auswirkungen auf den Spielfluss. So sind diese Moves jetzt zwar immer noch riskant, können sich aber auf ganzer Linie auszahlen.
Selbst dann, wenn ihr nur die Basis-Kampfoptionen verwendet, macht das Spiel unheimlich viel Spaß. Jeder Schlag und jeder Tritt fühlt sich dank der beeindruckenden Soundeffekte und des begleitenden Rucks des DualShock 4 Wireless-Controllers wahnsinnig befriedigend an. Ihr könnt auf Gegner einprügeln, sie zwischendurch auch mal werfen oder mit Sprungtritten überraschen und fühlt euch am Ende der Session trotzdem wie der krasseste Kämpfer oder die krasseste Kämpferin überhaupt.
Doch das Spiel verlockt euch auch geschickt dazu, komplexere Angriffe auszuprobieren. Denn schon ein elementares Verständnis der Funktionsweise von Kombos reicht, um ein paar wirklich abgefahrene Abfolgen hinzulegen. Und jedes eindrucksvolle Ergebnis stachelt eure Neugier weiter an und reizt euch, noch mehr zu lernen und zu experimentieren.
Ich bin normalerweise bei meinen Spielsessions ganz ruhig und total konzentriert. Aber sogar ich habe einen Begeisterungsschrei von mir gegeben, als ich mit Adam Hunter eine Kombo hinlegte, bei der eine Handvoll Schurken quer über den Bildschirm flog und von einer Wand abprallte. Ich habe einen beeindruckten Pfiff losgelassen, als ich entdeckt habe, wie man mit Cherry Hunter mit einer schnellen Folge von Luftangriffen über eine Reihe von Gegnern hüpfen kann. Und ich musste über meine eigene Dreistigkeit lachen, als ich mit Muskelpaket Floyd Iraia erfolgreich durch eine ganze Gegnerschar gepflügt bin.
Die breit gefächerte Kämpferauswahl bietet euch eine Vielzahl von Spielstilen, mit denen ihr euch vertraut machen könnt. Eine Verbesserung zum Original, mit der man nicht unbedingt gerechnet hat: In der Kampagne könnt ihr zwischen den Levels die Kämpfer wechseln. Ich hatte schon meine Favoriten aus den vorherigen Titeln und bin ihnen treu geblieben. Doch bei dieser genialen Aufstellung habe ich mich immer wieder dabei ertappt, wie ich das Charakterauswahl-Menü durchgegangen bin.
In den Originalen habt ihr euch vor wunderschönen Hintergründen und in fesselnden Szenarien durch die Stadt gekämpft. Dem kann die Fortsetzung mühelos das Wasser reichen und setzt noch ganz einzigartige Varianten obendrauf. Schilder müssen übersprungen werden, während ihr euch auf dem Dach eines fahrenden Zugs prügelt. Ein Kampf in einem schwer bewachten Luxusflugzeug wird immer wieder unterbrochen, weil ihr in den freien Fall übergeht. Ein Gefecht in Chinatown zeigt stolz, das es von Actionfilmen inspiriert ist, und lässt euch ständig größer werdende Gegnerscharen in einem Dojo bekämpfen. In jedem der 12 Levels gibt es einen so denkwürdigen Augenblick, dass man immer wieder dorthin zurückkehren möchte.
Am Ende ist es vielleicht die Skalierbarkeit, die mir an Streets of Rage 4 am besten gefällt. Die Levels sind in perfekte Häppchen aufgeteilt und die Vielzahl an Modi – darunter Online- und Offline-Koop sowie Wettkampfoptionen – bietet euch so viele Möglichkeiten, dass ihr die Spielsessions so lang oder kurz gestalten könnt, wie ihr möchtet. Ich habe in der Kaffeepause schon mal einen kompletten Level durchgespielt, aber auch schon einen ganzen Abend lang versucht, im Arcade-Modus mit nur einem Credit so weit zu kommen wie möglich.
Wie ich eingangs schon sagte, ist dieses Spiel sowohl für Fans des Genres als auch für Neugierige geeignet, durch den vertrauten Aufbau für die meisten leicht zugänglich und das Gameplay stellt euch ungeachtet eures spielerischen Niveaus stets zufrieden. Somit ist es für mich das perfekte Spiel, um gemeinsam mit Freunden Spaß zu haben. Zwar kann ich mich aufgrund der derzeitigen Lage nicht in den Chaos versprechenden lokalen Vier-Spieler-Koopmodus stürzen, doch wenn der Tag kommt, an dem meine Tür der Welt wieder offensteht, dann werde ich mit diesem Spiel darauf warten, wieder mit meinen Freunden die Controller heiß laufen zu lassen und mein Soundsystem dabei auf volle Lautstärke aufzudrehen.
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