Der zweite Eintrag in unserer „Hinter den Klassikern”-Reihe ist wahrlich ein verschollenes Schmuckstück – SCE Cambridge Studios‘ wildes, verrücktes, übernatürliches Abenteuer „MediEvil“. Das Spiel wurde zunächst im Jahr 1998 auf PS One veröffentlicht und ließ den Spieler in die Rolle von Sir Daniel Fortesque schlüpfen – einem untoten Ritter, der unbeabsichtigt von dem bösen Zauberer Zarok wiederbelebt wurde und sich aufmacht, um das Königreich Gallowmere zu befreien.
Im Jahr 2000 erschien dann der zweite Teil, der im Jahr 2005 dann für PSP neu aufgelegt wurde. Und trotzdem ist es das Original, das den meisten in Erinnerung geblieben ist. Weil Sir Dan bald schon eine Art Comeback als spielbarer Charakter in „PlayStation All Stars Battle Royale” feiern wird, haben wir uns mit Chris Sorrell getroffen, um mehr über die Entwicklung des Spiels zu erfahren.
Wie sah eigentlich das ursprüngliche Spielekonzept aus? Was war deine Inspiration, was das Aussehen und das Flair des Spiels anging?
Chris Sorrell: „Der erste Designvorschlag hatte den Arbeitstitel ‚Dead Man Dan’ und zeigte ein Spiel, das eine Mischung aus Capcoms ‚Ghouls ‘n Ghosts’ und dem künstlerischen Stil von Tim Burton war – besonders der Look und die Atmosphäre von Nightmare Before Christmas waren hier Vorbild. Mitte der 90er war ich ein großer Fan von beidem. Unser künstlerischer Leiter, Jason Wilson, und ich standen auf düstere Illustrationen im Gothic-Look, was letztendlich das Aussehen und das Flair des Spiels beeinflusste.”
Für die damalige Zeit war das Spiel ein ehrgeiziges Projekt – was waren die größten Herausforderungen bei der Umsetzung der ursprünglichen Vorstellung?
Chris Sorrell: „MediEvil brachte uns bergeweise Herausforderungen ein. Das Spiel wurde von dem kleinen, unabhängigen Entwickler Millennium Interactive ohne große finanzielle Mittel verwirklicht. Zusätzlich dazu, dass ein komplett neues Team aufgestellt wurde – von dessen Mitgliedern keiner zuvor an einem 3D-Spiel dieser Größe mitgearbeitet hatte – waren wir im Grunde genommen von Anfang an im Verkaufsmodus, da die Zukunft des Studios von unserer Fähigkeit abhing, so schnell wie möglich einen Vertrag mit einem Herausgeber an Land ziehen zu können. Ursprünglich arbeiteten wir auf verschiedenen Plattformen, wie z. B. Windows, Sega Saturn und auch PlayStation, bevor wir die Chance erhielten, für Sony eine Demo des Spiels zu machen. Zum Glück war das das beste Verkaufsgespräch, das wir jemals geführt haben: SCEE hatte ein paar wirklich inspirierende Leute im Management sitzen. Sie liebten MediEvil und innerhalb von ein paar Wochen hatten wir den Vertrag unterschrieben, dass wir ein Spiel exklusiv für PlayStation machen würden. Nach ein paar Monaten wurden wir dann zu Sonys zweitem Studio im Vereinigten Königreich.
Und natürlich lag noch etwas ganz Ungewohntes vor uns: Wie die meisten Spieleentwickler zu dieser Zeit mussten auch wir uns erst noch an 3D herantasten. Dinge wie Kamera- und Spielfigurensteuerung bargen viele interessante, neue Herausforderungen, die dazu führten, dass wir uns immer wieder neue Herangehensweisen ausdenken mussten, bevor wir uns für Lösungen entschieden, die zu funktionieren schienen.”
Wie nah kommt das Endprodukt an das ursprüngliche Konzept heran?
Chris Sorrell: „Eigentlich sehr nah. Während der Entwicklungszeit legte das Spiel seinen Arcade-Charakter immer mehr ab und wurde allmählich zu einem Abenteuerspiel – was mich als großen Zelda-Fan sehr glücklich macht. Was das Aussehen des Spiels angeht, bin ich der Meinung, dass es sehr nah an unsere ursprünglichen Ziele herankommt, was man auch sehen kann, wenn man sich die Konzeptkunst anguckt, die man im Internet finden kann.
Auf welches Spielelement bist du besonders stolz? Und was ist vielleicht zu kurz gekommen?
Chris Sorrell: „Damals hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass mich vor allem die Zusammenarbeit des Teams in der Endphase der Entwicklung stolz gemacht hat, denn das war bei unseren beinahe absurden Wünschen nach Details und Umfang wirklich nicht einfach. Im Nachhinein bin ich wohl am stolzesten darauf, dass wir ein Spiel entwickelt haben, an das sich heute noch viele erinnern – was meiner Meinung nach an seinem Charakter und Charme liegt. Als Entwickler ist es ein großes Privileg gesagt zu bekommen, dass dein Spiel glückliche Kindheitserinnerungen hervorruft, was bei MediEvil wohl ziemlich oft zu passieren scheint.
Was ist zu kurz gekommen? Nun, ich wäre gerne mehr in die Richtung ‚Zelda’ gegangen – ich glaube, ein wahrhaftiges, tief gehendes Abenteuer in der „MediEvil”-Welt hätte etwas ganz Besonderes werden können. Außerdem sollte im Spiel auch „Morten the Earthworm” (Morten der Erdwurm) vorkommen, der in Dans leerer Augenhöhle lebt. Na ja, er hat’s leider nicht ins Spiel geschafft.”
Was ist deiner Meinung nach das Vermächtnis des Spiels? Wie soll es in Erinnerung bleiben?
Chris Sorrell: „Wir waren auf jeden Fall eines der ersten Spiele, die das Tim-Burton-Flair eingefangen haben. Ich glaube, dass es ein paar Grusel-Actionspiele nach MediEvil gab, bei denen die Entwickler sich von uns haben inspirieren lassen. [2002 Capcom-Fantasy-Abenteuer] Maximo fällt mir da ein. Ich wäre glücklich, wenn die Leute MediEvil als ‚das Spiel, bei dem der seltsame, grummelnde Skelett-Typ mit nur einem Auge und ohne Unterkiefer seinen eigenen Arm als Boomerang benutzt’ in Erinnerung behalten würden.”
Im Jahr 2005 kam eine PSP-Version raus. Aber MediEvil hat sich nie zu einer langlebigen Franchise entwickelt. Denkst du manchmal darüber nach, was aus der Reihe hätte werden können?
Chris Sorrell: „Ich würde auf jeden Fall gerne noch ein Mal mit Sir Dan arbeiten. Ich habe definitiv eine Menge Ideen, die ein großartiges neues ‚MediEvil’-Spiel abgeben würden. Aber da ich nicht mehr für Sony arbeite, ist das wohl leider ein sehr unwahrscheinlicher Traum. Ganz zu schweigen davon, wie sich die Zeiten verändert haben, seitdem Dan das erste Mal aus seiner Gruft gestiegen ist.
Mehr „Hinter den Klassikern”:
- Jak & Daxter: The Precursor Legacy, 24. August 2012
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