Creative Director Jean Guesdon über die Gestaltung einer authentischen Landschaft für das neueste Abenteuer der Serie
Gillen McAllister, SIEE:
Es gibt da eine Nummer, die der irische Comedian und Moderator von Go 8 Bit, Dara Ó Briain, vor einigen Jahren gebracht hat und die mir seitdem im Gedächtnis geblieben ist. Es geht darum, dass sich das Weltbild der meisten Menschen immer mehr vereinfacht, je weiter das betreffende Land entfernt ist; eine reichhaltige Kultur verschiedener Völker und Regionen schrumpft dann auf zwei oder drei einfache Konzepte zusammen.
So, wie sich die Technologie weiterentwickelt und die Welt mit ihrer multiregionalen, multikulturellen Historie nur noch einen Touchscreen weit entfernt ist, wird das Körnchen Wahrheit, das in dieser Aussage liegt, im Laufe der Jahre immer beschämender. Wir sollten – ich sollte – mehr über unsere Nachbarn wissen. Und ich meine nicht die, denen man vom eigenen Vorgarten aus zuwinken kann.
Beim Gedanken an Ägypten habe ich also zwei Dinge vor Augen: Wüsten und Pyramiden. Zugegebenermaßen zwei prägende Merkmale der Region, aber nicht die Gesamtsumme ihrer Einzelteile. Darum habe ich länger als nötig vor dem Ubisoft-Stand auf der E3 haltgemacht und das wunderschöne Banner auf mich wirken lassen, das dort hing.
Es zeigt den neuen Protagonisten, Bayek, auf einem Kamel auf einer Seite, aber die beiden sind nur ein kleines Detail, während man den Blick nicht nur über die üppigen Täler, Flüsse und Städte schweifen lässt, sondern auch in der Vielfalt an Farben schwelgt, die dieses Landschaftsbild prägen.
Die Serie hat ihre Kulisse schon immer hauptsächlich dazu genutzt, markante Schauplätze für ihre abenteuerlichen, von lautlosen Attentaten und jahrhundertelangen Kriegen zwischen gegnerischen Fraktionen geprägten Zeitreisen zu erschaffen.
Aber diese erfundenen Geschichten beruhten schon immer auf dem Fundament der echten Weltgeschichte, oder zumindest auf deren getreuer Nachbildung.
So unscheinbar es auch gewesen sein mag, es gab immer ein lehrreiches Element bei diesen Zeitsprüngen – Jerusalem, Italien, Paris, London -, für die das verantwortliche Studio bzw. die verantwortlichen Studios Ort und Zeit so authentisch wie möglich nachgebildet haben.
„Als wir anfingen, uns eingehender mit dem Land zu beschäftigen, es zu studieren, Aufzeichnungen zu wälzen und uns mit Ägyptologen zu unterhalten, wurde uns schnell klar, dass es mehr als Wüsten und Pyramiden zu bieten hat”, erzählt Creative Director Jean Guesdon, als ich ihn am Stand treffe. Obwohl es von hier aus nicht zu sehen ist, stehen wir nur wenige Meter von dem Banner entfernt. „Noch heute im 21. Jahrhundert ist dies ein Ort in einer Zeit und einer Welt, die viele Fantasien weckt. Es ist eine verlorene, vergessene Welt.”
Die anschließenden Recherchen waren die vielleicht intensivsten, die ein Team der Assassin’s Creed-Reihe je durchgeführt hat, da, wie Guesdon freiwillig zugibt, „heute nur noch sehr wenig übrig ist” von dem, was es zu der Zeit gab, in der Origins spielt.
„Das Schöne daran ist, dass unsere Grafiker alles komplett neu erschaffen konnten”, fährt er fort. „Es ist vielmehr eine Neuschöpfung, uns liegen keine Karten oder Pläne davon vor, wie es damals aussah. Aber wir haben eine gute Vorstellung. Und so haben wir alles daran gesetzt, vor allem die Atmosphäre nachzubilden … da ist das Mittelmeer, der Nil, die Berge, die Wüsten … die Schönheit dieser Welt besteht darin, dass sie bereits auf eine fast 3000-jährige, reichhaltige Geschichte zurückblicken kann.”
Guesdon und sein Team bei Ubisoft Montreal – und unterstützt von Ubisoft Singapur – haben alles, was diese Geschichte zu bieten hat, in eine gigantische Karte gepackt. Von großen bis hin zu kleineren Bildern, oder „von global bis detailliert”, wie der Creative Director es ausdrückt.
Zuerst erstellte das Studio schlichte graue Felder und bewegte sich mit Reitgeschwindigkeit zwischen ihnen hin und her, um die Menge an Inhalten zu bestimmen und sicherzustellen, dass die Bevölkerungszentren auch so verteilt sind wie in Wirklichkeit.
Dann wurde die Karte auf die einzelnen Teams aufgeteilt. Jedes Team nutzte Konzeptgrafiken als Referenzpunkte, um Atmosphäre, Lichtverhältnisse, Materialien, Vegetation und Fauna der jeweiligen Region abzustecken. Um, wie Guesdon es ausdrückte, „die Atmosphäre neu zu erschaffen”, statt einfach nur Vorhandendes zu duplizieren.
In vorherigen Assassin’s Creed-Titeln könnte man mit Recht behaupten, dass die meisten Spieler nach dem höchsten Punkt der Karte Ausschau halten und sich dann auf direktem Weg dorthin begeben. In Origins jedoch ist die Vertikale nicht so markant, oder so wichtig, wie die Horizontale.
Man wirft einen schnellen Blick auf die Landschaft. Und dann will man noch mehr davon und bricht auf ins große Unbekannte. Wenn man bedenkt, dass das Team hinter dem Spiel auch für Assassin’s Creed: Black Flag verantwortlich ist, überrascht es nicht, dass die Reise zum fernen Horizont ein lohnenswerteres und faszinierenderes Erlebnis ist, als sich wie ein Adler einen Überblick von oben zu verschaffen.
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