Wagt euch auf die Talos-1-Raumstation und stellt euch einer mysteriösen Alieninvasion.
Spätestens seit Dishonored sind die Arkane Studios endgültig im Spiele-Olymp angekommen. Und mit Prey beweisen sie einmal mehr, dass ein Triple-A-Titel nicht unbedingt Mainstream sein muss, um zu begeistern.
Die geschickte Verknüpfung gleich mehrerer Genres, das mutige, experimentierfreudige Gameplay und nicht zuletzt das eigenwillige, jedoch überaus stilvolle Artdesign fügen sich zu einem außergewöhnlichen Blockbuster zusammen. Dabei birgt ihr aktuelles Abenteuer so viele bemerkenswerte Überraschungen in sich, dass es durchaus als ihr bislang bestes Werk bezeichnet werden kann.
Die folgenden Aspekte erklären, weshalb Prey nicht bloß spannend und fordernd, sondern auch ziemlich unheimlich geworden ist.
Vielfältige Einflüsse
Vordergründig mag Prey ein Ego-Shooter sein, in dem es zu denkwürdigen Shootouts mit übermächtigen Gegnern kommt. Doch es ist ebenso ein Action-Adventure, das mit einer nach und nach frei erkundbaren Umgebung lockt. Es bietet andererseits eine packende Handlung und verlangt mit anspruchsvollem Ressourcen-Management auch gestandenen Strategen noch einiges ab. Daran geknüpft ist gewissermaßen das Horror-Element im Abenteuer. Denn abgesehen von den unheimlichen Begegnungen mit teils schrecklichen Gestalten im Spiel kann bereits die Suche nach dem nächsten Medikit für blankes Entsetzen sorgen. Dieser Survival-Aspekt erinnert dann auch sehr ans legendäre System Shock; aber natürlich wurden ebenso Erinnerungen zu Half-Life und Bioshock wach, wenn ihr durch die düsteren Hallen streift. Alles herausragend gute Spiele, die jedoch nicht gerade für ihre Gemütlichkeit bekannt sind.
Auf euch allein gestellt
Bereits in früheren Spielen bewiesen die Entwickler, wie gut sie offen wirkende, frei erkundbare Bereiche gestalten können. Dabei sind viele Räume in Prey optional, müssen also gar nicht besucht werden, um die Story voranzutreiben. Doch seid ihr gut beraten, möglichst viel auf jener merkwürdigen Raumstation zu erforschen. Schließlich warten einige Schätze auf euch, die vor allem in den ersten Spielstunden den Überlebenskampf teils erheblich erleichtern. Ihr wollt die Schrotflinte? Dann haltet brav die Augen danach offen und verdient sie euch. Die Medikits, die ihr auf euren Streifzügen findet, reichen nicht aus? Dann stoßt ihr hoffentlich bald auf den Bauplan, um selbst welche herzustellen. Durch diese Old-School-Mechanik fühlt ihr euch in den Weiten des Alls noch etwas mehr allein gelassen.
Verwinkelte Raumstation
Die rund ein Dutzend Levels des Spiels ergeben die gigantische Raumstation, der Schauplatz von Prey. Dabei sorgen interessante Erfindungen sowie schmuckes Art-Déco dafür, dass sich die einzelnen Areale wie aus einem Guss anfühlen. Auch um die Station herum führt euch die Reise, bei dir ihr schon bald einen Raumanzug benötigt. Aber entfernt euch im schwerelosen Raum nicht zu weit von der Station fort, denn das würde euch mit Sicherheit töten. Und vergesst nicht: Im Weltraum hört euch niemand schreien. Dafür begeistern die Außeneinsätze mit einer intuitiven Steuerung und einem guten Bewegungsgefühl, während ihr euch zwischen Stahlträgern euren Weg bahnt.
Dabei setzen die Arkane Studios – sowohl auf der Station als auch bei den kurzen Ausflügen ins All – ihr vielleicht größtes Talent überhaupt ein: die Kunst, gute Levels zu entwerfen. So finden sich für jede Hürde (wie Aliens, Umwelt, verschlossene Türen, geschützte Computer) beinahe immer alternative Lösungswege. Das ist für ein Großprojekt wie Prey durchaus keine Selbstverständlichkeit, schließlich muss dadurch ein Mehraufwand betrieben werden, den viele Spieler möglicherweise zunächst gar nicht bemerken. Doch wer sich eingehend mit dieser dystopischen Zukunftsvision auseinandersetzt, wird laufend auf neue Details stoßen, die einen in begeistertes Staunen versetzen.
Beängstigende Kreativität
Die spielerische Freiheit steht bei den Entwicklern offensichtlich stets ganz oben auf der Liste. So gibt es praktisch für jedes Problem mehr als nur eine Lösung. Manchmal findet ihr zwar keine herkömmliche Lösung, doch dann ist eben eure Kreativität gefragt. In der Rolle von Protagonist Morgan Yu habt ihr schließlich die Möglichkeit, die Skills von Mimics und anderen Alien-Arten zu kopieren. Dafür den Gegner schnell mit eurem Spezial-Fernglas gescannt, danach die erhaltenen Neuromods für Fähigkeiten wie etwa Telepathie, Elementar-Angriffe oder Verwandlungskünste eingesetzt. Letzteres sorgt für besonders viel Abwechslung, kann man sich doch so in beinahe jeden beliebigen Gegenstand verwandeln. Und mit dieser Herangehensweise löst ihr nicht nur einige Rätsel, sondern zahlt es euren Gegnern mit ihren eigenen fiesen Tricks heim – oder überlebt mit knapper Not, weil ihr euch in letzter Sekunde noch in einen Gegenstand verwandelt habt.
Besonders originell ist die GLOO-Kanone, mit deren Hilfe ihr an viele ansonsten unerreichbare Bereiche auf der Karte gelangt. Baut etwa mit Hilfe von an Wänden haftenden Klebebrocken eine Treppe, um ins Stockwerk über euch zu gelangen. Oder beseitigt dadurch unmittelbare Gefahren in der Umgebung, die euch bislang den Weg versperrten. Der Fantasie sind hier (beinahe) keine Grenzen gesetzt.
Harter Überlebenskampf
Der bereits erwähnte Survival-Horror zeigt sich bei Prey in vielerlei Hinsicht. Neben schrecklichen Feinden und einer lebensbedrohlichen Umgebung sind es nicht zuletzt die knappen Ressourcen in diesem Abenteuer, die regelmäßig für einen erhöhten Puls sorgen. Das bedeutet, ihr müsst ein ausreichend gutes Item-Management betreiben, um nicht bereits in den ersten paar Stunden hoffnungslos unterzugehen. Diese Gratwanderung – einerseits eine Herausforderung bieten, andererseits die Spieler nicht zu frustrieren – ist gelungen, und zwar mit Hilfe von Replikatoren. Jene helfen euch dabei, Munition, Medikits, Waffen und sogar Neuromods herzustellen. Dafür einfach alles, was ihr nicht benötigt, in eine zweite Maschine werfen – und dafür Elementblöcke erhalten. Was genau herauskommt, beeinflusst das Material, das ihr zuvor geopfert habt. So bekommt ihr genau das, was ihr gerade benötigt; vorausgesetzt, ihr verfügt über genügend Rohstoffe für diesen Prozess.
Ums nackte Überleben geht es hingegen in zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Aliens. Manche beeindrucken allein durch ihre schiere Größe oder ihr aggressives Vorgehen, andere dagegen agieren aus dem Hinterhalt, um euch bei der kleinsten Unachtsamkeit das Licht auszublasen. Und bis ihr mit einigermaßen viel Selbstvertrauen in die Kämpfe geht, dürften Stunden vergehen. Schließlich habt ihr zunächst nur wenig Ausrüstung, schwache Waffen und kaum Gelegenheit, euch zu heilen. Dagegen sind die Gegner oftmals übermächtig und nur selten allein unterwegs. Das Leben als Morgan Yu besteht eben aus zahllosen Herausforderungen.
Dabei fühlen sich Completionists bei ihrer Mission bestätigt, alles zu erkunden und dabei sämtliches Loot abzugreifen. Denn hier gibt es keinen Questmarker, der euch zu wertvollen Items führt. Und so seid ihr eben auf das angewiesen, was ihr auf eurem Weg durch die Station findet. Wer sich hingegen noch mehr ängstigen will, sollte einfach kopflos durch die Gegend laufen – sehr wahrscheinlich mit fatalen Folgen.
Mysteriöse Geschichte
Wer sich stattdessen Zeit nimmt, wird nicht bloß mit dem ein oder anderen hilfreichen Gegenstand belohnt, sondern hat einfach auch mehr von der Story. Ihr gewinnt dadurch in etwa zwei Drittel der Handlung, die – so wie die Hauptgeschichte – durchgehend zu begeistern vermögen. Dabei dreht sich die Mainstory um ein missglücktes Experiment und ihre katastrophalen Folgen. Dass hier Erinnerungen an den Filmklassiker Aliens aufkommen, ist kein Zufall. Schließlich gilt der Streifen als einer der großen Einflüsse während der Entwicklung – inklusive der vielen Schockmomente. Genre-Kenner freuen sich zudem über die Handschrift des ausgezeichneten Autors Chris Avellone (Planescape: Torment, Fallout 2, Pillars of Eternity), der einmal mehr mit tiefgründigen Charakteren und einer packenden Geschichte aufwartet, bei der – trotz aller Schrecken – auch ein wenig schräger Humor durchblitzt.
Der Rest der Geschichte setzt sich aus zahlreichen E-Mails zusammen, die ihr auf eurem Weg (hoffentlich) findet. In jenen stecken kleine, teils berührende Geschichten, die die Station und ihre (ehemaligen) Bewohner beleuchten. Damit verbunden sind Nebenmissionen, die teils gravierende Auswirkungen auf die übergreifende Erzählung haben. So könnt ihr etwa eine Person vor dem Tod bewahren, was aber völlig optional ist. Einmal gerettet, ist sie euch jedoch zu späterer Stunde sehr hilfreich, was wiederum neue Möglichkeiten eröffnet. Und das ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie sehr die Entwickler darauf bedacht sind, stets mehrere Alternativen zu bieten. Es ist eine fruchtbare Verbindung zwischen Storytelling und Gameplay, die experimentierfreudige Gamer belohnt, jedoch auch allen anderen eine außerordentlich fesselnde Erfahrung bietet. So oder so: Prey wird euch unterhalten, fordern – und nicht zuletzt – regelmäßig das Fürchten lehren.
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